Dr.
Alexander Bissels
Erste Entscheidungen des
BAG zu tariflichen Branchenzuschlägen
Am 22.02.2017 musste sich das BAG erstmals mit der Auslegung
der Branchenzuschlagstarifverträge der Zeitarbeit (konkret: TV BZ
ME) befassen. Im Wesentlichen ging es in den in Erfurt anhängigen
Verfahren um den Einsatz von Zeitarbeitnehmern, die an
Industriedienstleister überlassen wurden, die ihrerseits wiederum
für Automobilhersteller im Rahmen von Werkverträgen tätig
waren. Branchenzuschläge wurden den überlassenen
Zeitarbeitnehmern mit der Begründung nicht gewährt, dass diese
bei einem Industriedienstleister in einem
(branchenzuschlagsfreien) Dienstleistungsbetrieb und gerade nicht
in einem (branchenzuschlagspflichtigen) Betrieb der M+E-Industrie
eingesetzt werden. Diese Ansicht haben das Thür. LAG, das LAG
Rheinland-Pfalz und auch das Hess. LAG bestätigt; das LAG Köln
hat diese Frage – jedoch bei einem etwas abweichend gelagerten
Sachverhalt – hingegen bejaht.
Im Einzelnen hat das BAG am 22.02.2017 über folgende Verfahren
entschieden:
• Thür. LAG v. 22.04.2015 - 4 Sa 87/14: Az. 5 AZR 453/15
• Hess. LAG v. 19.01.2016 - 15 Sa 46/15: Az. 5 AZR 252/16
• Hess. LAG v. 19.01.2016 - 15 Sa 47/15: Az. 5 AZR 252/16
• LAG Köln v. 16.07.2014 - 4 Sa 145/14: Az. 5 AZR 552/14
• LAG Köln v. 16.07.2014 - 4 Sa 155/14: Az. 5 AZR 553/14
• LAG Köln v. 16.07.2014 - 4 Sa 151/14: Az. 5 AZR 554/14
• LAG Köln v. 16.07.2014 - 4 Sa 337/14: Az. 5 AZR 555/14.
In allen Revisionen bestätigte das BAG, dass dem Grunde nach ein
Anspruch der jeweils klagenden Zeitarbeitnehmer auf die Gewährung
eines tariflichen Branchenzuschlags besteht – im Ergebnis
durchaus überraschende Entscheidungen, gerade mit Blick auf die
überzeugenden Erwägungen des Hess. LAG und des Thür. LAG gegen
die Anwendung des TV BZ ME.
Die Revision gegen die Entscheidung des LAG Hamburg (Urt. v.
11.02.2014 - 2 Sa 51/13; Az. 5 AZR 185/14), in der es um die
korrekte Berechnung der Einsatzdauer im Kundenbetrieb ging, stand
am 22.02.2017 hingegen nicht mehr auf der Rolle des BAG. Das
Rechtsmittel wurde bereits im Dezember 2016 zurückgenommen.
Auch über die Zulässigkeit der Nutzung von Arbeitszeitkonten im
Maler- und Lackiererhandwerk auf Grundlage der Tarifverträge der
Zeitarbeit konnte das BAG am 22.02.2017 nicht (mehr) urteilen. Der
ursprüngliche Termin zur mündlichen Verhandlung wurde von Amts
wegen vom 22.02.2017 auf den 14.06.2017 verlegt (Sprungrevision
gegen ArbG Düsseldorf v. 30.11.2015 - 4 Ca 4402/15; Az. 4 AZR
140/16).
Kommentar: Das BAG hat zu den am 22.02.2017 entschiedenen
Verfahren zu den tariflichen Branchenzuschlägen keine
Pressemitteilung herausgegeben, so dass die Erwägungen, die den
5. Senat letztlich veranlasst haben, gegen die herrschende Ansicht
in der Rechtsprechung und der Literatur zu argumentieren, noch im
Dunklen liegen. Es wird jedoch gemeldet, dass das BAG in den
Verfahren gegen die Entscheidungen des LAG Köln davon ausgegangen
ist, dass der Einsatzbetrieb des Industriedienstleisters ein
Katalogbetrieb des TV BZ ME darstellen solle. Zudem scheint der 5.
Senat eine andere Ansicht zur Abgrenzung von Haupt- und
Hilfs-/Nebenbetrieb zu vertreten. Dies schien der ausschlaggebende
Grund in den Revisionen gegen die Urteile des Hess. LAG zu sein.
Das Verfahren gegen die Entscheidung des Thür. LAG soll über die
Zweifelregelung nach § 1 Ziff. 2 Abs. 2 TV BZ ME zu Gunsten des
Zeitarbeitnehmers gelöst worden sein. Die vollständig
abgesetzten Urteilsgründe des BAG bleiben zunächst zur weiteren
Analyse abzuwarten.
Fest dürfte aber – auch ohne diese im Einzelnen zu kennen –
stehen, dass die bisherige Struktur der Erbringung von
Industriedienstleistungen in der Automobilindustrie – zumindest
mit Blick auf die Gewährung von Branchenzuschlägen – nicht
mehr aufrecht zu erhalten scheint.
Für die Zeitarbeitsunternehmen, die an entsprechende
Industriedienstleister überlassen haben, haben die Entscheidungen
des BAG durchaus ein Nachspiel (und zwar auch für diejenigen, die
an den Verfahren in Erfurt nicht beteiligt waren). Die DRV dürfte
sich für die noch ergänzend auf die nicht gezahlten
Branchenzuschläge abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge
interessieren – und zwar unabhängig davon, (...)
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