Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Der
Nebel beginnt sich zu lichten: Anforderungen an die Offenlegung
der Arbeitnehmerüberlassung und die Konkretisierung des
Zeitarbeitnehmers!
Mit
Wirkung zum 01.04.2017 hat der Gesetzgeber das AÜG einer
einschneidenden Reform unterzogen. Es wurde eine
Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten (§ 1 Abs.
1b AÜG) in das Gesetz eingefügt sowie die Möglichkeit der
Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz hinsichtlich des Entgelts
beschränkt (auf neun Monate, wenn nicht ein
Branchenzuschlagstarifvertrag einschlägig ist, vgl. § 8 Abs. 2,
4 AÜG). Zudem hat der Gesetzgeber weitere formale Pflichten in
Zusammenhang mit dem Abschluss eines
Arbeitnehmerüberlassungsvertrags geschaffen, nämlich durch die
Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht (§ 1 Abs. 1 S. 5, 6
AÜG).
Danach
müssen sich die Parteien offen zu einer Arbeitnehmerüberlassung
bekennen und den Zeitarbeitnehmer vor der Überlassung namentlich
bezeichnen. Wird gegen diese Pflichten verstoßen, wird ein
Arbeitsverhältnis zwischen dem überlassenen Zeitarbeitnehmer und
dem Kunden fingiert – ohne und auch gegen den Willen der
Beteiligten. Der Zeitarbeitnehmer hat durch die wirksame Abgabe
einer Festhaltenserklärung (sehr hohe formalistische
Anforderungen, vgl. § 9 Abs. 1 AÜG) jedoch die Möglichkeit, in
ein Arbeitsverhältnis zu dem Personaldienstleister
"zurückzukehren".
Insbesondere
mit Blick auf diese sehr einschneidenden Rechtsfolgen – hinzu
kommt ergänzend, dass der Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG
eine Ordnungswidrigkeit darstellt (Bußgeldrahmen: bis zu
30.000,00 EUR) – verwundert es nicht, dass in der juristischen
Literatur in Zusammenhang mit der AÜG-Reform 2017 die Frage
aufgeworfen wurde, welche (formellen) Anforderungen an § 1 Abs. 1
S. 5, 6 AÜG zu stellen sind. Insbesondere wurde diskutiert, ob
die Pflicht zur Offenlegung nur unter Wahrung der Schriftform
erfüllt werden kann und ob, wenn dies nicht erfolgt ist, bereits
aufgrund dieses Umstands ein Arbeitsverhältnis zwischen dem
Kunden und dem Zeitarbeitnehmer fingiert wird.
Das
BAG hat sich in einem jüngst veröffentlichten Urteil mit diesen
rechtlichen Aspekten befassen müssen und festgestellt, dass es
eines nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG formgültigen
Arbeitnehmerüberlassungsvertrags bedarf, um der
Offenlegungspflicht zu genügen (Urt. v. 05.03.2024 – 9 AZR
204/23). Ansonsten wird ein Arbeitsverhältnis zwischen dem
Personaldienstleister und dem überlassenen Zeitarbeitnehmer
begründet.
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
Die
X-GmbH stellte den Kläger am 04.06.2012 als Arbeitnehmer ein.
Seitdem war er zunächst bei der YGmbH, der Rechtsvorgängerin der
Beklagten, und anschließend bei der Beklagten als Lagerist
tätig.
Bis
zum 15.02.2018 erfolgte der Einsatz auf Grundlage eines nominellen
Werkvertrags. Zwischen den Parteien ist dabei streitig, ob es sich
dabei tatsächlich nicht um eine verdeckte
Arbeitnehmerüberlassung handelte.
Ab
dem 16.02.2018 wurde der Kläger aufgrund eines
Arbeitnehmerüberlassungsvertrags beschäftigt, der von der X-GmbH
am 05.02.2018 und von Y-GmbH am 28.02.2018 unterzeichnet wurde.
Dieser enthält eine von den Parteien zeitgleich unterschriebene
Anlage mit Angaben zum Einsatz des Klägers vom 16.02.2018 bis zum
31.12.2018. Über diesen informierte die Beklagte den bei ihr
gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 05.02.2018, der dem
Einsatz am 08.02.2018 zustimmte.
Der
Kläger vertritt die Auffassung, dass zwischen den Parteien mit
Wirkung zum 16.02.2018 ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen
sei, weil die gesetzlichen Offenlegungs- und
Konkretisierungspflichten vor der Überlassung von Arbeitnehmern
nicht eingehalten worden seien. Die Offenlegungspflicht könne nur
durch einen im Zeitpunkt des Einsatzes formwirksam geschlossenen
Überlassungsvertrag erfüllt werden. Daran fehle es. Der Vertrag
mit der Y-GmbH sei erst zustande gekommen, nachdem er seine
Tätigkeit bei der Beklagten bereits aufgenommen habe.
Das
BAG folgte der von dem Kläger vertretenen Ansicht und bestätigte
das zweitinstanzliche Urteil des LAG Hamm, das – so der 9. Senat
– zutreffend erkannt habe, dass zwischen den Parteien wegen des
Verstoßes gegen die Offenlegungsund Konkretisierungspflichten (§
1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG) ein Arbeitsverhältnis bestehe.
Zwischen
dem Entleiher und dem Zeitarbeitnehmer komme nach § 10 Abs. 1 S.
1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande, wenn der Arbeitsvertrag
zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer aus
einem der in § 9 Abs. 1 AÜG aufgeführten Gründe unwirksam sei
und der Arbeitnehmer keine Festhaltenserklärung abgebe. Der
Unwirksamkeitsgrund des § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG sei erfüllt, wenn
die Arbeitnehmerüberlassung entgegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG
nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des
Zeitarbeitnehmers nicht konkretisiert worden sei. Die Erfüllung
der Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten setze einen
formwirksamen Überlassungsvertragzum Zeitpunkt des
Überlassungsbeginns voraus. Ob die Unwirksamkeitsfolge des § 9
Abs. 1 Nr. 1a AÜG nur bei einem kumulativen Verstoß gegen die
Offenlegungsund Konkretisierungspflichten eintrete oder ob dafür
bereits der Verstoß gegen eine der beiden Pflichten genüge,
bedürfe keiner Entscheidung. Das LAG Hamm habe das Vorliegen
eines kumulativen Verstoßes im Streitfall zu Recht bejaht,
weshalb es auf die Frage nicht ankomme.
Der
Wortlaut von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG spreche – so das BAG –
für das Erfordernis eines formwirksamen
Arbeitnehmerüberlassungsvertrags zum Zeitpunkt des
Überlassungsbeginns.
Dem
Personaldienstleister und dem Entleiher obliege es gem. § 1 Abs.
1 S. 5 AÜG, die Arbeitnehmerüberlassung in ihrem Vertrag
ausdrücklich als solche zu bezeichnen, bevor sie den
Zeitarbeitnehmer überlassen oder tätig werden ließen. Nach § 1
Abs. 1 S. 6 AÜG hätten sie die Person des Zeitarbeitnehmers
unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren. Beide
Vorschriften setzten damit das Vorliegen eines – wirksamen –
Überlassungsvertrags bei Beginn der Arbeitnehmerüberlassung
voraus. Zu seiner Wirksamkeit müsse der
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag das Schriftformerfordernis nach
§ 12 Abs. 1 S. 1 AÜG erfüllen. Es könne nicht davon
ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei der Erfüllung der
Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten auf einen
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag abstelle, der nicht die vom AÜG
geforderten Wirksamkeitsvoraussetzungen erfülle. Andernfalls
würden in demselben Gesetz an einen Vertragstyp unterschiedliche
Anforderungen gestellt.
Vor
Vertragsunterzeichnung sei der noch nicht der Schriftform
entsprechende Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nach § 125 S. 1
BGB nichtig. Dieser werde nicht dadurch nachträglich wirksam,
dass der Entleiher und das Zeitarbeitsunternehmen nach der
Arbeitsaufnahme durch den Arbeitnehmer die Schriftform erfüllten;
deshalb könne diese Vereinbarung als solche nicht schon die
Grundlage für die Erfüllung der Offenlegungspflicht bilden. Auch
die Konkretisierung der Person des Zeitarbeitnehmers, die zwar –
anders als die Offenlegung – nicht zwingend im
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag selbst, aber „unter Bezugnahme
auf diesen Vertrag“ zu erfolgen habe, knüpfe an das Vorliegen
einer Vereinbarung an und setze damit einen formwirksamen
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bei Überlassungsbeginn voraus.
Die
Bedeutung, die der Gesetzgeber den Offenlegungs- und
Konkretisierungspflichten beigemessen habe, unterstreiche dieses
am Wortlaut der Vorschriften ausgerichtete Normverständnis.
Dieses spreche dafür, dass die Pflichten erst erfüllt werden
könnten, wenn ein formwirksamer Vertrag vorliege. Die Verortung
im Gesetz und die einschneidende Rechtsfolge der Unwirksamkeit des
Arbeitnehmerüberlassungsvertrags zeigten die Bedeutung, die von
den in § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG geregelten Offenlegungs- und
Konkretisierungspflichten ausgehe. Diese seien der Bestimmung des
§ 1 Abs. 1 AÜG über die zentralen Grundlagen der
Arbeitnehmerüberlassung nachträglich hinzugefügt worden (mit
Wirkung zum 01.04.2017). Zeitgleich sei § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG in
das Gesetz eingefügt worden, der bei einer Verletzung des § 1
Abs. 1 S. 5, 6 AÜG explizit die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags
zwischen dem Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer anordne.
Ein
anderes Auslegungsergebnis folge nicht daraus, dass die Pflicht
zur Offenlegung nicht in § 12 Abs. 1 S. 3, 4 AÜG als zwingender
Inhalt des schriftlichen Arbeitnehmerüberlassungsvertrags
geregelt worden sei. Zwar wäre es in systematischer Hinsicht in
Betracht gekommen, die Vorschrift des § 12 Abs. 1 AÜG um die
Offenlegungspflicht zu ergänzen, weil dort bereits Vorgaben zum
Vertragsinhalt geregelt gewesen seien. Dann wäre aber die
Bedeutung, die der Gesetzgeber der Offenlegungspflicht durch die
explizite Anordnung in S. 5 der zentralen Norm des § 1 Abs. 1
AÜG unmissverständlich beigemessen habe, nicht in gleicher Weise
zum Ausdruck gekommen. Sie reiche über die Frage der Wirksamkeit
des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags hinaus. Gem. § 9 Abs. 1 Nr.
1a AÜG sei die Offenlegung auch für die Wirksamkeit des
Arbeitsvertrags zwischen dem Personaldienstleister und dem
Zeitarbeitnehmer relevant.
Die
Regelungen in § 16 Abs. 1 Nr. 1c, 1d AÜG bestätigten dieses
Auslegungsergebnis. Sie sähen vor, dass ordnungswidrig handele,
wer entgegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG „nicht, nicht richtig oder
nicht rechtzeitig“ die Überlassung als solche bezeichne bzw.
die überlassene Person konkretisiere. Diese Formulierung zeige,
dass eine verspätete Offenlegung und Konkretisierung gegen die
Vorgaben des § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG verstießen. § 16 Abs. 1
Nr. 1c, 1d AÜG würde mit der Wendung „nicht, nicht richtig
oder nicht rechtzeitig“ klarstellen, dass fahrlässige oder
vorsätzliche Fehler bei der Pflichterfüllung immer eine
Ordnungswidrigkeit darstellen würden und ein verspätetes Handeln
gerade nicht ordnungsgemäß sei. Damit korrespondiere, dass ein
formnichtiger Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht nachträglich
wirksam werden könne. Die Bußgeldbewehrung als solche
unterstreiche wiederum die Bedeutung, die der Gesetzgeber der
Einhaltung der Offenlegungsund Konkretisierungspflichten beimesse
und spreche für ein strenges Normverständnis.
Für
eine teleologische Reduktion von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG
dahingehend, dass bereits ein (noch) formunwirksamer Vertrag als
Grundlage für die Offenlegung und Konkretisierung genüge,
bestehe kein Raum.
Die
teleologische Reduktion einer Vorschrift führe dazu, dass eine
nach ihrem Wortlaut anzuwendende Bestimmung hinsichtlich eines
Teils der von ihr erfassten Fälle unanwendbar sei, da Sinn und
Zweck, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang der einschlägigen
Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprächen.
Ausgehend vom Gesetzeszweck werde der zu weit gefasste Wortlaut
auf den Anwendungsbereich reduziert, der der ratio legis
entspreche. Sie komme allerdings nur in Betracht, wenn sich eine
verdeckte Regelungslücke im Sinn einer planwidrigen
Unvollständigkeit des Gesetzes feststellen lasse. Auch bei einem
nach wortlautgetreuer Auslegung drohenden Grundrechtsverstoß
könne eine teleologische Reduktion der Norm geboten sein.
Diese
Anforderungen seien vorliegend nicht erfüllt. Sinn und Zweck der
Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten sei es, eine verdeckte
Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern. Der Personaldienstleister
und der Entleiher könnten nur dann wirksam
Arbeitnehmerüberlassung praktizieren, wenn sie sich dazu offen
und transparent bekennen würden. Führten sie ihre Zusammenarbeit
nominell auf der Grundlage eines Werkvertrags etc. durch, obwohl
sich die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses
als Arbeitnehmerüberlassung erweise, könnten sie – anders als
noch nach der bis zum 31.03.2017 geltenden Rechtslage – der
Begründung eines Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfolgreich mit
dem Hinweis auf das Vorliegen einer vorsorglich für diesen Fall
vorgehaltenen Überlassungserlaubnis entgegentreten. Dieser „Fallschirmlösung“
sollte durch die Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten
begegnet werden, deren Verletzung gem. § 10 Abs. 1 S. 1 i.V.m. §
9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG unabhängig davon zu einer Begründung eines
Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher führten, ob das
Zeitarbeitsunternehmen eine Überlassungserlaubnis besitze. Der
vermeintliche Werkunternehmer und dessen Auftraggeber sollten auch
bei Vorlage einer solchen Erlaubnis nicht bessergestellt sein als
derjenige, der ohne diese Arbeitnehmerüberlassung betreibe.
Ausgehend
von diesem Zweck bestehe keine planwidrige Regelungslücke in § 1
Abs. 1 S. 5, 6 AÜG, die es erfordert hätte, Fallgestaltungen
auszunehmen, in denen eine Offenlegung und Konkretisierung in
einem formunwirksamen Vertrag erfolgen könnten. Durch eine
Offenlegung und Konkretisierung in einem formunwirksamen
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag würde dem Regelungszweck nicht
in gleicher Weise wie in einem formwirksamen Vertrag genügt. Wenn
bereits vor Überlassungsbeginn ein formwirksamer, d.h.
schriftlicher Vertrag vorliegen müsse, bestehe bereits bei
Aufnahme der Tätigkeit durch den Zeitarbeitnehmer die vom
Gesetzgeber intendierte Transparenz. Ein rechtlicher „Schwebezustand“
zwischen dem Überlassungsbeginn und der Vertragsunterzeichnung
werde verhindert. Dadurch entfalte sich von Anfang an sowohl die
Warn- als auch die Beweissicherungs- und Dokumentationsfunktion
der Schriftform mit der Folge, dass einer verdeckten
Arbeitnehmerüberlassung wirksam vorgebeugt werde.
Die
wortgetreue Auslegung und Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG
habe – gemessen am gesetzgeberischen Ziel – keine
überschießende Wirkung. Vielmehr gewährleiste sie, dass dem
Zweck der Vermeidung einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung in
besonders effektiver Weise entsprochen werde. Zwar könnten sich
das Zeitarbeitsunternehmen und der Entleiher rein tatsächlich
auch auf andere Weise als in einem formwirksamen Vertrag vor
Beginn der Überlassung zur Arbeitnehmerüberlassung bekennen und
den Zeitarbeitnehmer konkretisieren. Dies verdeutliche der hiesige
Streitfall, in dem die XGmbH (als Verleiherin) den als
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichneten Entwurf vor
Überlassungsbeginn unterzeichnete und die Y-GmbH (als
Entleiherin) den Betriebsrat unter Offenlegung der
Arbeitnehmerüberlassung angehört habe. Unter solchen Umständen
erfolge die Überlassung nicht verdeckt. Auch wenn dem
Gesetzeszweck danach anders als durch einen formwirksamen Vertrag
vor Überlassungsbeginn genügt werden (...)
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