Dr.
Alexander Bissels und Kira Falter
equal
pay trifft das ArbG Gießen – und was hat der EuGH damit zu tun?
Bekanntermaßen ist eine Abweichung vom equal pay-/equal
treatment-Grundsatz nur möglich, wenn aufgrund einer beidseitigen
Tarifbindung von Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer (in
der Praxis die Ausnahme) die Tarifverträge der Zeitarbeit
(BAP/DGB oder iGZ/DGB) "automatisch" zur Anwendung
kommen oder in einem zwischen den Parteien abgeschlossenen
Arbeitsvertrag auf diese Bezug genommen wird (in der Praxis der
Regelfall). Aufgrund der zum 01.04.2017 in Kraft getretenen
AÜG-Reform ist eine Ungleichbehandlung des Zeitarbeitnehmers
hinsichtlich des Entgelts ("equal pay) nur noch bis zur
Vollendung des 9. Einsatzmonats bei einem Kundeneinsatz möglich;
ab dem 10. Monat ist dieser hinsichtlich der Vergütung mit einem
vergleichbaren Stammbeschäftigten gleichzustellen (§ 8 Abs. 1, 4
S. 1 und 2 AÜG). Der equal treatment- Grundsatz im Übrigen kann
jedoch weiterhin – zeitlich unbegrenzt – abbedungen werden. Es
droht nun neuer Ungemach – und zwar aus europarechtlicher Sicht!
I. Hintergrund
Die Abweichungsmöglichkeit vom equal treatment-/equal
pay-Grundsatz wird aus europarechtlichen Erwägungen teilweise als
kritisch angesehen. Insbesondere Herr Prof. Däubler vertritt
diese Ansicht. Wörtlich meint er dazu (vgl. http://www.
labournet.de/wp-content/ uploads /2018/01/leihklage_zwischen-
bericht1.pdf):
"Nach dem Gesetz besteht der equal pay-Grundsatz, von dem
durch Tarifvertrag abgewichen werden darf. Wie weit die Abweichung
gehen kann, ist im deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht
gesagt. Dieses ist insoweit für unterschiedliche Interpretationen
offen. Nun gibt es einen allgemein anerkannten Grundsatz, dass
nationales Recht so ausgelegt werden muss, dass möglichst kein
Widerspruch zum EU-Recht entsteht. Da es eine
EU-Leiharbeitsrichtlinie gibt, spricht man von
„richtlinienkonformer Interpretation“.
Die Richtlinie sieht nun bei befristeten Verträgen zwischen
Verleiher und Leiharbeitnehmer vor, dass zwar vom Grundsatz der
Gleichstellung mit Stammarbeitnehmern durch Tarifvertrag
abgewichen werden kann. Der „Gesamtschutz“ der
Leiharbeitnehmer muss jedoch derselbe bleiben. Diese Grenze ist
auch bei deutschen Tarifverträgen zu beachten, denn die
Pauschalermächtigung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss ja
„richtlinienkonform“ ausgelegt werden. Wie die Größe
„Gesamtschutz“ genau zu bestimmen ist, weiß niemand so recht,
nur ist eines klar: Die Leiharbeitstarife weichen von dem, was
ohne sie gelten würde, nur zu Lasten der Leiharbeitnehmer ab.
Etwas Derartiges kann auch ein höchst wohlwollender Beobachter
nicht mehr als Wahrung des „Gesamtschutzes“ ansehen. Also
haben die Tarifverträge ihren Ermächtigungsrahmen überschritten
und sind deshalb unwirksam. Der einzelne Leiharbeitnehmer kann
gleiche Bezahlung wie ein Stammarbeitnehmer verlangen.
Besteht ein unbefristeter Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und
Leiharbeitnehmer und werden auch die Zeiten vergütet, in denen
kein Einsatz möglich ist, so kann durch Tarifvertrag von equal
pay abgewichen werden. Allerdings liegt keine „Bezahlung“ vor,
wenn die Ausfallzeiten mit einem Zeitguthaben verrechnet werden,
das sich der Leiharbeitnehmer vorher erarbeitet hat. Das ist bei
vielen Verleihern Praxis. Auch dürfte diese Vorschrift nicht
gelten, wenn der Leiharbeitnehmer gleich nach dem ersten Einsatz
entlassen wird – dann hat der Arbeitgeber eben gerade nicht das
Risiko übernommen, keine Einsatzmöglichkeit zu haben und dennoch
die Vergütung weiter bezahlen zu müssen."
Eine (vermeintliche) Europarechtswidrigkeit lässt sich aber
nicht ohne weiteres feststellen; vielmehr bedarf es eines
Rechtsstreits vor einem deutschen Arbeitsgericht, in dem die
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