Heft 05/2024

Heft Mai 2024

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 05/24 - Inhalt

  • „Stille Reserve" von 3,2 Millionen Menschen am Arbeitsmarkt

  • Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven Grenzüberschreitende illegale Arbeitnehmerüberlassung mit A1-Bescheinigung: (K)Ein Freifahrtschein?!

  • Swyter: Beschluss der CDU zur Aufhebung des Beschäftigungsverbots für Drittstaatsangehörige in der Zeitarbeit wichtiger Schritt

  • IC Team Personaldienste setzt auf viel Eigenverantwortung und Gestaltungspeilraum

  • Lünendonk-Liste 2024: Führende Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland wachsen leicht, Marktvolumen geht zurück

  • Zeitarbeit im Zeichen der Zeit - 40 Jahre Blickpunkt Dienstleistung Horst Thurau

  • Rechtsanwalt Christian Andorfer und Rechtsanwältin Tseja Tsankova-Herrtwich Personaldienstleister und SOKA-Bau - Unwissenheit schützt vor Beiträgen nicht, BAG Urteil 10 AZR 343/22

  • Hays Fachkräfte-Index Q1/2024: Fachkräfte-Nachfrage zieht trotz Krise branchenübergreifend deutlich an

  • Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Arbeitgeberin darf Rot als Farbe der Arbeitsschutzhose vorschreiben

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven

Grenzüberschreitende illegale Arbeitnehmerüberlassung mit A1-Bescheinigung: (K)Ein Freifahrtschein?!

Grenzüberschreitend aus dem Aus- im Inland durchgeführte Dienst- bzw. Werkleistungen haben den Vorteil, dass diese außerhalb des regulatorischen Anwendungsbereichs des AÜG und damit in der Regel kostengünstiger angeboten bzw. erbracht werden können; dies gilt insbesondere, wenn aufgrund von vorab eingeholten A1-Bescheinigungen festgestellt wird, dass nicht das deutsche, sondern weiterhin das ausländische Sozialversicherungsrecht für die im Rahmen des (vorgeblichen) Dienst- bzw. Werkvertrages von dem Auftragnehmer bzw. Werkunternehmen eingesetzten (ausländischen) Arbeitnehmer zur Anwendung kommt.

Was ist aber, wenn sich der Dienst- bzw. Werkvertrag als eine illegale (sprich ohne eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis oder zumindest verdeckt durchgeführte) Arbeitnehmerüberlassung herausstellt, weil die betreffenden Arbeitnehmer – gegen die getroffenen vertraglichen Abreden – bei dem Auftraggeber bzw. Besteller weisungsgebunden in dessen Betriebsstrukturen eingegliedert werden? Schützt dann tatsächlich die A1-Bescheinigung, insbesondere vor der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeträgen? Nach Ansicht des SG Magdeburg soll dies der Fall sein (Urt. v. 28.11.2023 – S 46 BA 45/21). In dem konkreten Fall stritten die Beteiligten über die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für litauische Lkw-Fahrer, die mit einer A1-Bescheingiung in Deutschland tätig geworden sind.

I. Zusammenfassung der Entscheidung

Gegen die Klägerin ermittelte das Hauptzollamt und die Staatsanwaltschaft Magdeburg. Im Rahmen dieses Verfahrens übersandte das Hauptzollamt Magdeburg der beklagten DRV Unterlagen zur Prüfung. Diese kam aufgrund ihrer Prüfung zu dem Ergebnis, dass u.a. die für die Klägerin tätigen litauische Kraftfahrer im Prüfungszeitraum bei dieser sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen seien.

Im Nachgang zu den Ermittlungen führte die Beklagten selbst bei der Klägerin eine Prüfung durch und forderte mit Bescheid vom 16.09.2020 von dieser für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.10.2017 Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. insgesamt 281.871,59 EUR (Beitragsforderung i.H.v. 205.620,59 EUR sowie Säumniszuschläge i.H.v. 76.251,00 EUR), u.a. für die litauischen Kraftfahrer.

Hintergrund der Nachforderung sei, dass die Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum mehrere Personen abhängig beschäftigt habe. Die Auswertung der Ermittlungen des Hauptzollamtes Magdeburg habe ergeben, dass u.a. die von der Klägerin eingesetzten litauischen Kraftfahrer als Arbeitnehmer beschäftigt worden seien. Diese seien bei der Klägerin im Rahmen einer (faktischen) Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG eingesetzt worden.

Entsprechend der zwischen der Klägerin und einem anderen Unternehmen geschlossenen Rahmenvereinbarung sollten die litauischen Arbeitnehmer die Frachtaufträge auf den Fahrzeugen der Klägerin ausführen. Die Klägerin habe auch die Betriebskosten der Fahrzeuge, z.B. Treibstoff, Mautgebühren und Reparaturkosten, bezahlt.

Die Nutzung der Fahrzeuge der Klägerin spreche für eine Eingliederung der litauischen Arbeitnehmer in die Betriebsorganisation der Klägerin. Entgegen der in der Rahmenvereinbarung getroffenen Regelung habe die Klägerin tatsächlich Weisungen an die litauischen Arbeitskräfte erteilt. Ferner verbleibe das gesamte unternehmerische Risiko im Transportbereich bei der Klägerin. Auch die Buchführung spreche für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung, da die Klägerin die entsprechenden Kosten als Personalkosten verbucht habe. Aufgrund der fehlenden Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung ergebe sich zwischen der Klägerin und den Arbeitnehmern ein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes mit allen sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen. Aus den Ermittlungen habe sich zudem ergeben, dass den litauischen Arbeitnehmern nicht der im jeweiligen Zeitpunkt geltende Mindestlohn gezahlt worden sei. Die Berechnung der nachträglich zu erhebenden Beiträge erfolge nach den tatsächlichen Arbeitszeiten, die den Fahrtenschreibern entnommen worden seien, sowie dem jeweiligen Mindestlohn. Schließlich seien Säumniszuschläge zu erheben gewesen, da die Klägerin bzw. ihre Abrechnungsstelle Kenntnis von der Zahlungspflicht besessen habe.

Nach der Zurückweisung des von der Klägerin erhobenen Widerspruchs und der Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Bescheides wurde Klage erhoben. Die Klägerin führt insbesondere an, dass sämtliche litauischen Lkw-Fahrer im Besitz der sog. A1-Bescheinigung seien. Damit werde die Zugehörigkeit zur litauischen Sozialversicherung bestätigt. Eine Beitragspflicht zur deutschen Sozialversicherung bestehe insoweit nicht.

Mit dieser Argumentation drang die Klägerin beim SG Magdeburg durch. Die Klage war erfolgreich; der Bescheid der Beklagten vom 16.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2021 wurde aufgehoben.

Hinsichtlich der litauischen Kraftfahrer ergebe sich – so das SG Magdeburg – zwar anhand der vorliegenden Umstände, dass zwischen den litauischen Kraftfahrern und der Klägerin im streitigen Zeitraum, für den die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge nachfordere, ein Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG bestehe. Danach gelte ein solches zwischen dem Entleiher und dem zur Arbeitsleistung überlassenen Arbeitnehmer als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer unwirksam ist. Dies sei nach § 9 Nr. 1 AÜG der Fall, wenn der Verleiher nicht über die nach dem AÜG zur Arbeitnehmerüberlassung erforderliche Erlaubnis – wie hier – verfüge.

Die vorliegenden Umstände sprächen für eine Arbeitnehmerüberlassung durch die X. Anhand der vorliegenden Unterlagen sei nicht erkennbar, dass es sich bei dieser um eine eigenständige (Unter-)Frachtführerin handeln solle. Ein maßgebliches Kriterium für die Einordnung als selbständiges Transportunternehmen sei, dass dieses selbst über die dafür erforderlichen Fahrzeuge verfüge. Angesichts des geringfügigen Wertes der Sachanlagen im Vergleich zu den üblichen Werten der erforderlichen Fahrzeuge offenbare sich, dass die X nicht über die entsprechenden Fahrzeuge verfüge. Da die Klägerin die eingesetzten Kraftfahrer als Personalkosten und nicht als Fremdleistung verbucht habe, werde deutlich, dass der Klägerin bewusst gewesen sei, dass sie die litauischen Kraftfahrer als eigenes Personal eingesetzt habe. Schließlich sei auch kein wirtschaftliches Risiko übertragen worden, da sämtliche Betriebsmittel durch die Klägerin bereitgestellt, gewartet und unterhalten worden seien.

Eine andere Sichtweise ergebe sich nicht aus geschlossenen Rahmenvereinbarung. Es komme für die Bewertung auf die tatsächlich gelebten Verhältnisse an. Aus den Ermittlungen des Hauptzollamtes lasse sich erkennen, dass die Klägerin tatsächlich Weisungen an die litauischen Kraftfahrer – unter Einschaltung von Übermittlern bzw. Übersetzern – erteilt habe. Hiervon ausgehend sei die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung – auch im Lichte des europäischen Rechts – nicht zu beanstanden.

Auf die entgeltliche sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung der litauischen Lkw-Fahrer finde insoweit grundsätzlich das deutsche Sozialversicherungsrecht Anwendung. Dies folge aus dem in § 3 Nr. 1 SGB IV niedergelegten Territorialprinzip.

Vorliegend ergebe sich eine Zuordnung zu einem anderen als dem deutschen Sozialleistungssystem allerdings aus den A1-Bescheinigungen für die litauischen Lkw-Fahrer. Aufgrund der vorgelegten Unterlagen des zuständigen Trägers in Litauen, nach denen das eigene System der sozialen Sicherheit auf die litauischen Lkw-Fahrer während der Dauer der Überlassung nach Deutschland anwendbar bleibe, finde eine Versicherungspflicht und Beitragserhebung zur deutschen Sozialversicherung nicht statt.

Entgegen der Ansicht der Beklagte ergebe sich eine abweichende Bewertung nicht aus der Entscheidung des BSG vom 29.06.2016 (Az. B 12 R 8/14 R, Rn 27). Anders als im dort entschiedenen Fall lägen hier entsprechende A1-Bescheinigungen vor. Diese seien bindend, solange sie nicht widerrufen oder aufgehoben würden, selbst wenn sie rechtswidrig erstellt bzw. erteilt worden seien.

II. Bewertung

Die nachfolgenden Leitsätze des SG Magdeburg fassen das Ergebnis des Urteils plastisch zusammen, bedürfen jedoch – wie die Entscheidung selbst – einer kritischen Bewertung.

In diesen heißt es wörtlich wie folgt:

„Nach § 10 Abs. 1 S. 1 HS. 1 AÜG gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem zur Arbeitsleistung überlassenen Arbeitnehmer als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer unwirksam ist. Nach § 9     (...)



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