Heft 09/2022

Heft September 2022

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 09/22 - Inhalt

  • Dritter Mittelstandsgipfel: Entlastungen in der Energiekrise

  • Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven Verlängerung der Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag und Rechtsmissbrauch bei dem Abschluss von befristeten Arbeitsverhältnissen nach einer Übernahme

  • "Überdurchschnittliches Gehalt und Aufstiegschancen spielen nur eine untergeordnete Rolle" - Premiere der neu konzipierten Personaldienstleister-Fachkonferenz "ARBEIT &PERSONAL"

  • ManpowerGroup: Führungswechsel in Deutschland

  • SIA Report zeichnet zvoove als führenden Anbieter von End-to-End-Softwarelösungen für Personaldienstleister in Europa aus

  • Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven Verlängerung der Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag: Klärung durch das BAG - oder der letzte Vorhang im Kammertheater!

  • Erwerbstätigkeit im Juli 2022 weiter gestiegen

  • Gehalt verliert an Relevanz: Was die Gen Z vom Job erwartet

  • Einführung elektronischer Zeiterfassung – Initiativrecht des Betriebsrats

  • BAP Job-Navigator 9/2022: "Ausbildungsangebot je Berufsgruppen und Bundesländern" Aktuelle Analyse: Nachfrage nach Azubis stark gestiegen

  • Qualitatives Job-Matching: Unternehmen machen Abstriche bei gesuchten Kompetenzen

  • Das Arbeitsvolumen in Deutschland ist erneut gestiegen

  • IAB-Prognose 2022/2023: Der Arbeitsmarkt gerät unter Druck, dürfte sich aber weitgehend stabil zeigen

  • Energiesparen am Arbeitsplatz: Was ist erlaubt?

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven

Verlängerung der Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag und Rechtsmissbrauch bei dem Abschluss von befristeten Arbeitsverhältnissen nach einer Übernahme

Das LAG Niedersachsen hat sich mit zahlreichen für die Praxis spannenden Fragen in Zusammenhang mit einer (erlaubnispflichtigen) Arbeitnehmerüberlassung im Konzern (auf Grundlage einer durch Tarifvertrag verlängerten Überlassungshöchstdauer) und einer anschließenden Übernahme durch den Kunden, der mit dem Zeitarbeitnehmer einen „lediglich“ sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, befassen müssen. Aufgrund der nicht erfolgten „Entfristung“ bei dem Kunden klagten zahlreiche betroffenen Arbeitnehmer auf das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Dabei rügten sie u.a., dass die tarifliche Überlassungshöchstdauer für das mit dem Personaldienstleister bestehende Arbeitsverhältnis nicht gegolten habe; die gesetzliche Überlassungshöchstdauer sei überschritten worden, so dass mit dem Kunden ein (unbefristetes) Arbeitsverhältnis fingiert worden sei (erster Begründungsansatz). Zudem sei die vereinbarte Befristung rechtsmissbräuchlich (zweiter Begründungsansatz).

Das LAG Niedersachsen hat den Fall differenziert gelöst – und zwar in Abhängigkeit davon, ob der klagende Arbeitnehmer Mitglied in der IG Metall war oder nicht. War dies der Fall, konnte der Arbeitnehmer mit seinem Begehren, ein (unbefristetes) Arbeitsverhältnis zu dem Kunden festgestellt zu wissen, nicht durchdringen (vgl. LAG Niedersachen v. 21.04.2022 – 5 Sa 99/21; weitere Parallelsachen: 5 Sa 372/21, 5 Sa 375/21, 5 Sa 393/21, 5 Sa 395/21, 5 Sa 398/21, 5 Sa 401/21). Inzwischen liegen zur Verlängerung der Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag auch zwei aktuelle Urteile des BAG vor, die für die Zeitarbeitsbranche ausgesprochen günstig ausgefallen sind (Urt. v. 14.09.2022 – 4 AZR 26/21, 4 AZR 83/21).

I. Zusammenfassung der Entscheidung

Ursprünglich war der Kläger Arbeitnehmer der XY – der Personaldienstleister GmbH & Co. KG (im Folgenden: „XY KG“). Das seit dem 15.09.2016 bestehende befristete Arbeitsverhältnis wurde durch mehrere Vertragsverlängerungen bis zum 31.08.2019 fortgesetzt. Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses hat die XY KG den Kläger durchgängig in dem Betrieb der Beklagten (W-AG) in Z im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt. Die XY KG und die W-AG gehören demselben Konzern an.

Der Arbeitsvertrag des Klägers enthält insbesondere folgende Regelung:

„Verweisung auf Tarifrecht/Betriebsvereinbarungen

Auf das Arbeitsverhältnis finden der Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag für Zeitarbeit zwischen einerseits der XY KG und andererseits der IG Metall und der Entgelttarifvertrag für Zeitarbeit zwischen einerseits der XY KG und andererseits der IG Metall in ihrer jeweils gültigen Fassung und alle weiteren zukünftigen Tarifverträge in vollem Umfang Anwendung.

Auf das Arbeitsverhältnis sind bestehende Betriebsvereinbarungen anwendbar.“

Die XY KG, die Beklagte und die IG Metall (Bezirksleitung Niedersachsen/ Sachsen-Anhalt) schlossen am 05.12.2013 einen Tarifvertrag über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitnehmern (nachfolgend: „TV VEZ“), der u.a. Folgendes vorsieht:

„Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern der XY KG ist auf maximal 36 aufeinanderfolgende Monate befristet. Der Zeitraum eines vorangegangenen Einsatzes als Zeitarbeitnehmer der XY KG, der Z GmbH bzw. der W-AG ist anzurechnen, wenn die Beendigung nicht länger als 6 Monate vor dem Beginn des neuen Einsatzes zurückliegt.

[…]

Eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der W-AG erfolgt regelmäßig nach 36 Monaten Einsatzdauer.“

Die Beklagte begründete mit dem Kläger im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der XY KG am 01.09.2019 ein Arbeitsverhältnis. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthielt eine Befristung und sah als Ende des Arbeitsverhältnisses den 31.05.2020 vor. Mit Schreiben vom 12.05.2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ihm keine Anschlussbeschäftigung anbieten zu können, und informierte ihn über die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Befristungsabrede sowie das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten bereits vor dem 01.09.2019 geltend gemacht. Das ArbG Hannover wies die Klage ab (Urt. v. 14.12.2020 – 2 Ca 130/20). Die hiergegen vom Kläger bei dem LAG Niedersachsen eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Arbeitsverhältnis habe – so das LAG Niedersachsen – durch die vereinbarte Befristung zum 31.05.2020 wirksam sein Ende gefunden. Die Parteien hätten das Arbeitsverhältnis wirksam gem. § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG sachgrundlos befristet abgeschlossen; eine Vorbeschäftigung in Folge der Überschreitung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer gem. § 1 Abs. 1 AÜG i.V.m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 AÜG liege nicht vor. Auch sei der Abschluss eines befristeten Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten – im Anschluss an die Eingliederung durch die XY KG – als Vertragsarbeitgeberin nicht rechtsmissbräuchlich gewesen.

Eine Überschreitung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gem. § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG im Verhältnis zur XY KG habe nämlich nicht vorgelegen. Es greife die Ausnahmebestimmung nach § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG, nach der in einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden könne. Eine derartige Regelung enthalte der TV VEZ, der auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zu der XY KG kraft beidseitiger Tarifbindung auch Anwendung gefunden habe. Insbesondere sei von der Gewerkschaftsmitgliedschaft des Klägers zum Zeitpunkt des Arbeitsverhältnisses mit der XY KG auszugehen. Dies habe die Beklagte entsprechend ihrer Darlegungslast behauptet; der Kläger sei dem nicht in einem ausreichenden Maße entgegengetreten, so dass diese Tatsache gem. § 138 Abs. 3, 4 ZPO als zugestanden gelte. Soweit der Kläger im Termin zur Kammerverhandlung vom 21.04.2022 erklärt habe, nicht sagen zu können, ob eine Gewerkschaftsmitgliedschaft seinerzeit vorgelegen habe, bleibe zunächst unklar, ob damit die Behauptung der Beklagten mit Nichtwissen bestritten werden sollte. Dies sei jedoch nicht erheblich. Wenn dieses Vorbringen so zu verstehen sein sollte, wäre es prozessual unzureichend. Es handele sich um eine Tatsache, die aufgrund eigener Wahrnehmung und eigenen Wissens nicht mit Nichtwissen bestritten werden dürfe (vgl. § 138 Abs. 4 ZPO). Selbst wenn von dieser Vorschrift Ausnahmen anerkannt seien, müssten diese besonders begründet werden („nicht mehr erinnern“); daran fehle es vorliegend.

Die hiesige tarifliche Ermächtigung des TV VEZ mit der Erlaubnis, Zeitarbeitnehmer 36 Monate zu überlassen, sei wirksam. Der EuGH halte es grundsätzlich für unionsrechtlich zulässig, wenn EU-Richtlinien durch Tarifverträge umgesetzt würden. Der Mitgliedsstaat müsse lediglich gewährleisten, dass die in der Richtlinie enthaltenen Ziele eingehalten würden. Unterstützt werde diese klare Rechtsauffassung bereits durch den Wortlaut des Art. 288 Abs. 3 AEUV, nach dem die Richtlinie für die Mitgliedsstaaten grundsätzlich nur das zu erreichende Ziel festlege, aber die Wahl der Mittel zu dessen Erreichung den Mitgliedsstaaten überlassen bleibe. Deswegen werde auch die z.T. in der Literatur vertretene Auffassung, der nationale Gesetzgeber sei der Umsetzungspflicht der Zeitarbeitsrichtlinie nicht nachgekommen, mit dem Argument, ihm obliege es allein, den unbestimmten und dort enthaltenen Rechtsbegriff „vorübergehend“ näher zu konkretisieren (so: Ulber, RdA 2018, 51), abgelehnt.

Zutreffend sei zwar, dass die Gestattung gegenüber den Tarifvertragsparteien in § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG nicht der Begrenzung der Zeitarbeitsrichtlinie mit ihrem Merkmal „vorübergehend“ zuwiderlaufen dürfe. Diese Problematik werde jedoch durch eine europarechtskonforme Auslegung sichergestellt. Diese ähnele der Frage, die die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen und die Öffnungsklausel in § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG beträfe. Vor diesem Hintergrund werde – entsprechend der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 26.10.2010 – 7 AZR 140/15) – eine dreifache Überschreitung der durch das AÜG bestimmten Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten, mithin 54 Monate, (...)



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