Heft 08/2021

Heft August 2021

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 08/21 - Inhalt

  • Aufschwung am Arbeitsmarkt setzt sich weiter fort

  • Dr. Alexander Bissels und Kira Falter Europarechtlichen Anforderungen an die Abbedingung des gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatzes - nun ist (erst einmal) der EuGH am Zug

  • Zeitarbeit: Unternehmen erwarten 26 Prozent Umsatzplus für 2021

  • Jens Issel neuer Leiter der iGZ-Kommunikationsabteilung

  • Steiler Aufschwung in der Temporärbranche: Fast ein Viertel mehr Einsatzstunden gegenüber dem Vorjahresquartal

  • Ergebnisse der IAB-Stellenerhebung für das zweite Quartal 2021: Offene Stellen im Verarbeitenden Gewerbe steigen gegenüber dem Vorquartal um 21 Prozent

  • Erwerbstätigkeit steigt im 2. Quartal 2021 um 0,2 % gegenüberdem Vorquartal - Erwerbstätigenzahl aber weiterhin deutlich unter dem Vorkrisenniveau

  • Das neue 1. Liga-Trikot mit modernisierten Firmenlogo

  • Offensive der Oberösterreichischen Personaldienstleister am Lehrlingsmarkt

  • BAP Job-Navigator 8/2021: "Halbjahresvergleich" Aktuelle Analyse: Positive Entwicklung in allen Bundesländern

  • persomatch und MSO Medien-Service gründen jobadvance GmbH

  • IAB-Arbeitsmarktbarometer auf Rekordhoch

  • Arbeitnehmer in Quarantäne – und der Arbeitgeber zahlt

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Kira Falter

Europarechtlichen Anforderungen an die Abbedingung des gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatzes – nun ist (erst einmal) der EuGH am Zug

Am 16.12.2020 musste sich der 5. Senat des BAG in drei Revisionsverfahren mit dem gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz bzw. mit dessen Abbedingung durch die Anwendung eines Tarifwerks der Zeitarbeit (konkret: iGZ/DGB) befassen. Im Instanzenzug wurden von den klagenden Zeitarbeitnehmern insbesondere europarechtliche Erwägungen angeführt, dass der Gleichstellungsgrundsatz nicht wirksam ausgeschlossen werden konnte – mit der Folge, dass der jeweilige Personaldienstleister verpflichtet gewesen sein soll, ab dem ersten Tag der Überlassung equal pay zu zahlen. Dabei lehnten sich die Kläger an die Argumente der sog. Däubler-Kampagne an. In zwei Verfahren hat das BAG in der Sache inhaltlich durchentschieden. Eine Verweisung an den EuGH war nicht erforderlich, da es auf die Auslegung von Unionsrecht nicht angekommen ist (Urt. v. 16.12.2020 – 5 AZR 22/19, 5 AZR 131/19). Ein Rechtsstreit fand hingegen den Weg nach Luxemburg. Der 5. Senat hat diesen dem EuGH vorlegt, um aus europarechtlicher Sicht klären zu lassen, unter welchen (rechtlichen) Voraussetzungen der Ausschluss des Gleichstellungsgrundsatzes – unter Berücksichtigung der Vorgaben der Zeitarbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG; nachfolgend auch: "Richtlinie" oder "RL") – durch die Anwendung der Tarifverträge der Zeitarbeit möglich bzw. wirksam ist (BAG. v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A); vorgehend: ArbG Würzburg v. 08.05.2018 – 2 Ca 1248/17; LAG v. Nürnberg v. 07.03.2019 – 5 Sa 230/18)

I. Zusammenfassung der Entscheidung

Die Parteien streiten über eine weitere Vergütung unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung der Zeitarbeitnehmer in Bezug auf das Arbeitsentgelt (sog. equal pay) für die Monate Januar bis April 2017.

In diesem Zeitraum war die Klägerin aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags bei dem beklagten Personaldienstleister als Zeitarbeitnehmerin beschäftigt. Dabei war sie einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin überlassen und erhielt zuletzt einen Stundenlohn von 9,23 EUR brutto.

Die Klägerin ist Mitglied der ver.di, die Beklagte gehört dem iGZ an. Dieser hat mit mehreren Gewerkschaften des DGB, u.a. mit ver.di, Tarifverträge geschlossen, die eine Abweichung von dem in § 8 Abs. 1 AÜG (§ 10 Abs. 4 S. 1 AÜG a.F.) verankerten Grundsatz der Gleichstellung vorsehen, insbesondere auch eine geringere Vergütung als diejenige, die vergleichbare Stammarbeitnehmer im Kundenbetrieb erhalten.

Mit der Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von insgesamt 1.296,72 EUR brutto als Differenz zwischen der erhaltenen Vergütung und derjenigen, die vergleichbaren Stammarbeitnehmern des Kunden gezahlt worden sein soll. Die Klägerin ist der Auffassung, die Tariföffnung im AÜG sowie die auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifverträge seien mit Art. 5 der Richtlinie nicht vereinbar. Vergleichbare Stammarbeitnehmer würden nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vergütet und hätten im Streitzeitraum einen Stundenlohn von 13,64 EUR brutto erhalten. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und meint, aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit schulde sie nur die für Zeitarbeitnehmer vorgesehene tarifliche Vergütung.

Das ArbG Würzburg hat die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin eingelegte Berufung war vor dem LAG Nürnberg erfolglos.

Das BAG führt zunächst aus, dass das AÜG den Personaldienstleister grundsätzlich verpflichte, dem Zeitarbeitnehmer das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, das der Kunde vergleichbaren Stammmitarbeitern gewähre (sog. equal pay). Von diesem Gebot der Gleichstellung erlaube das AÜG eine Abweichung durch Tarifvertrag, soweit dieser nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreite. Dies habe zur Folge, dass der Personaldienstleister dem Zeitarbeitnehmer lediglich das tariflich vorgesehene Arbeitsentgelt gewähren müsse.

Davon ausgehend könnte die Klägerin für die Dauer ihrer Überlassung an den Kunden keine weitere Vergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay beanspruchen. Ihre Klage wäre unbegründet und ihre Revision zurückzuweisen. Nach deutschem Tarifrecht seien die Klägerin und die Beklagte kraft ihrer Mitgliedschaft in den tarifschließenden Verbänden an die von diesen für die Zeitarbeitsbranche geschlossenen Tarifverträge mit unmittelbarer und zwingender Wirkung gebunden. Diese vom Gleichstellungsgrundsatz abweichenden Tarifverträge seien – zumindest soweit sie auf Arbeitnehmerseite von ver.di geschlossen worden seien – wirksam. Die Parteien der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifverträge für die Zeitarbeitsbranche – nämlich der iGZ und die in den jeweiligen Tarifverträgen namentlich aufgeführten Mitgliedsgewerkschaften des DGB, darunter ver.di – seien tariffähig. Diese stehe zwischen den Parteien außer Streit. Der iGZ und ver.di seien für die Zeitarbeitsbranche auch tarifzuständig. Ob alle weiteren an den Tarifabschlüssen beteiligten Gewerkschaften ebenfalls für die Zeitarbeitsbranche tarifzuständig bzw. im maßgeblichen Zeitpunkt gewesen seien, sei nicht entscheidungserheblich. Bei den fraglichen Tarifverträgen handele es sich nämlich um sog. mehrgliedrige Tarifverträge im engeren Sinne, bei denen lediglich mehrere – in der Regel gleichlautende – Tarifverträge in einer Urkunde zusammengefasst seien. Im Streitfall sei es deshalb ausreichend, dass die für das Zeitarbeitsverhältnis der Parteien einschlägigen Tarifverträge zwischen dem iGZ und ver.di wirksam seien, da ver.di jedenfalls seit ihrer Satzungsänderung 2009 für die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung tarifzuständig sei. Soweit einer anderen am mehrgliedrigen Tarifvertrag im engeren Sinne beteiligten Gewerkschaft die Tarifzuständigkeit fehlen sollte, bedinge dies nur die Unwirksamkeit des von ihr abgeschlossenen Tarifvertrags, habe aber keine Auswirkungen auf die zwischen den anderen Tarifvertragsparteien geschlossenen Tarifverträge.

Anders wäre es nur, wenn die auf das Zeitarbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findenden Tarifverträge als sog. Einheitstarifverträge einzuordnen wären. In diesem Fall müsste jede am Tarifvertrag beteiligte Gewerkschaft für die Zeitarbeitsbranche tarifzuständig sein. Es wäre mit dem Wesen der Tarifautonomie nicht vereinbar, wenn eine nicht tarifzuständige Gewerkschaft an der Verhandlung und dem Abschluss eines Tarifvertrags mitwirken und diesen möglicherweise wesentlich (mit-)gestalten könnte. Für die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten Einheitstarifverträge schließen wollen, fehle es jedoch an hinreichend deutlichen Anhaltspunkten. Deshalb verbleibe es bei der Auslegungsregel, dass die auf einer Seite beteiligten Tarifvertragsparteien sich grundsätzlich ihrer jeweils autonomen Tarifmacht nicht begeben, sondern voneinander unabhängige, eigenständige Tarifverträge schließen wollten, von denen sie sich ohne Rücksicht auf die übrigen Beteiligten auch wieder lösen könnten (vgl. BAG v. 29.06.2004 - 1 AZR 143/03; BAG v. 08.11.2006 - 4 AZR 590/05; BAG v. 07.05.2008 – 4 AZR 229/07). Eine Tarifkollision im Betrieb der Beklagten aufgrund der mehrgliedrigen Tarifverträge im engeren Sinne habe nicht bestanden, weil alle in Betracht kommenden Tarifverträge von Anfang an und jedenfalls bis zum Ende des Streitzeitraums inhaltsgleich gewesen seien (§ 4a Abs. 2 S. 3 TVG).

Die vom Gleichstellungsgrundsatz abweichenden Tarifverträge hätten nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschritten. Im Streitzeitraum existierten solche nicht. Die am 31.12.2016 außer Kraft getretene 2. LohnUGAÜV habe zuletzt für die "alten" Bundesländer ein Mindeststundenentgelt von 9,00 EUR brutto vorgesehen. Die am 01.06.2017 in Kraft getretene 3. LohnUGAÜV habe ab diesem Zeitpunkt in den "alten" Bundesländern ein Mindeststundenentgelt von 9,23 EUG brutto festgelegt. Beide Grenzen habe der für das Zeitarbeitsverhältnis und den Streitzeitraum maßgebliche Entgelttarifvertrag nicht unterschritten.

Wäre hingegen die nationale Regelung der Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz durch Tarifvertrag mit Unionsrecht nicht vereinbar, könnte der Klägerin für die Dauer ihrer Überlassung an den Kunden – soweit ein möglicher Anspruch für die Monate Januar und Februar 2017 nicht nach einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung verfallen sei – eine weitere Vergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay zustehen mit der Folge, dass ihre Klage zumindest teilweise begründet und ihrer Revision insoweit stattzugeben wäre. Fehle es an einer wirksamen Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz, wäre die Beklagte verpflichtet, der Klägerin für die Dauer der Überlassung an den Kunde das Arbeitsentgelt zu gewähren, das ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Kunden im Streitzeitraum erhalten habe.  (...)



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