Heft 03/2021

Heft März 2021

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 03/21 - Inhalt

  • Wirtschaftliche Erholung durch lange Lockdowns ausgebremst

  • Dr. Alexander Bissels und Kira Falter Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer durch den TV LeiZ - Klappe, die Erste!

  • BAP Job-Navigator 3/2021: "Studium und Jobchancen" Aktuelle Analyse: Welche Studienabschlüsse sind auf dem Stellenmarkt besonders gefragt?

  • Werner Stolz 20 Jahre iGZ-Hauptgeschäftsführer - Das Gesicht der Zeitarbeit

  • Österreichs Personaldienstleister: „Zeitarbeit ist Wachstumsbeschleuniger"

  • Veränderungen in der Vorstandsebene der GeAT AG

  • iGZ: Prinzip Hoffnung schafft keine politischen Lösungen

  • Ein Jahr Corona – Bilanz und Perspektiven für den Arbeitsmarkt

  • Nach der Ausbildung: Wenn die sichere Übernahme plötzlich unsicher wird – Zukunftsaussichten für Azubis verbessern

  • Fachkräftemangel bleibt auch in Corona-Zeiten ein großes Problem für den deutschen Mittelstand

  • Hays-Fachkräfte-Index Februar 2021

  • Der Einbruch des Arbeitsvolumens 2020 übersteigt alles bisher Dagewesene

  • Zeitarbeits-Award feierlich verliehen

  • 50 Jahre Zeitarbeit in Deutschland

  • DIW Berlin: Deutsche Wirtschaft auf einen Stop-and-Go-Kurs

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Kira Falter

Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer durch den TV LeiZ – Klappe, die Erste!

Die gesetzliche Überlassungsdauer von 18 Monaten ist tarifdisponibel, d.h. diese kann durch einen Tarifvertrag der Einsatzbranche (nicht hingegen der Zeitarbeit) verlängert oder aber auch verkürzt werden (§ 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG). Nicht tarifgebundene Unternehmen können die tariflichen Regelung durch eine Betriebsvereinbarung übernehmen, sprich abschreiben (§ 1 Abs. 1 b S. 4 AÜG). In § 1 Abs. 1 b S. 5, 6 AÜG sind weitere gesetzliche Bestimmungen vorgesehen, die eine abweichende Überlassungshöchstdauer durch eine Betriebsvereinbarung zulassen, wenn und soweit dies durch einen Tarifvertrag zugelassen worden ist. In der Metall- und Elektrobranche ist in den verschiedenen Tarifgebieten der sog. TV LeiZ abgeschlossen worden, der die Überlassungshöchstdauer auf 48 Monate verlängert. Bislang dürfte weitergehende Einigkeit darüber bestanden haben, dass diese Überlassungshöchstdauer zumindest in Betrieben der Metall- und Elektroindustrie, in denen die Branchentarifverträge M+E und demgemäß der TV LeiZ qua Mitgliedschaft im zuständigen M+E-Arbeitgeberverband zur Anwendung kommen, uneingeschränkt zu beachten ist; dies gilt ebenfalls für den überlassenen Zeitarbeitnehmer.

Mit der durch den TV LeiZ verlängerten Überlassungshöchstdauer musste sich jüngst das LAG Baden- Württemberg befassen, das – zur Überraschung aller oder zumindest zahlreicher Branchenkenner – entschieden hat, dass diese nur Geltung beanspruchen kann, wenn der in dem Kundenbetrieb eingesetzte Zeitarbeitnehmer Mitglied der IG Metall ist und damit zwischen diesem und dem Einsatzunternehmen eine kongruente Tarifbindung besteht, die sich auch auf den TV LeiZ erstreckt (vgl. Urt. v. 02.12.2020 – 4 Sa 16/20; vorgehend und eine abweichende Ansicht vertretend: ArbG Stuttgart v. 20.02.2020 – 22 Ca 4567/19). Dies war in dem konkreten Sachverhalt jedoch nicht der Fall. Mangels wirksamer (tariflicher) Verlängerung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer sei – so das Gericht – ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kunden und dem Zeitarbeitnehmer fingiert worden.

I. Zusammenfassung der Entscheidung

Der klagende Mitarbeiter wurde im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung durchgehend und ununterbrochen von 31.03.2014 bis 31.05.2019 als Zeitarbeitnehmer an die Beklagte überlassen, die Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg (Südwestmetall) ist. Der Kläger ist nicht Mitglied der IG Metall. 

Auf Grundlage des TV LeiZ schloss die Beklagte mit deren Gesamtbetriebsrat am 20.09.2017 eine Gesamtbetriebsvereinbarung, in der es u.a. heißt:

"Höchstdauer der Einsätze von Zeitarbeitnehmern 

Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern im direkten Bereich (Produktion) darf eine Höchstdauer von 36 Monaten nicht überschreiten. Für Zeitarbeitnehmer, die am 01.04.2017 bereits beschäftigt waren, zählen für die Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten Einsatzzeiten ab dem 01.04.2017. […]."

Der Kläger vertrat die Auffassung, wegen Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten sei zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis gem. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1 b, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG zustande gekommen. Er meint, die Beklagte könne sich nicht auf die tarifliche Erweiterung der Überlassungshöchstdauer im TV LeiZ berufen, da die gesetzliche Ermächtigung in § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG verfassungswidrig sei. Im Übrigen vertrat der Kläger die Auffassung, bei den auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG abzuschließenden Tarifverträgen, also auch beim TV LeiZ, handele es sich nicht um Betriebs-, sondern um Inhaltsnormen, die direkt auf die Direktionsrechtsbefugnisse der Personaldienstleister gegenüber den Zeitarbeitnehmern einwirken sollen. Da der Kläger aber nicht Mitglied der IG Metall und somit nicht tarifgebunden sei, wirke diese tarifliche Regelung für ihn nicht unmittelbar und zwingend.

Das ArbG Stuttgart hat die Klage abgewiesen. Diese Entscheidung wurde vom LAG Baden-Württemberg "kassiert" und im Ergebnis aufgehoben. Der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und dem Personaldienstleister, der über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfüge, sei gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 b AÜG nach Ablauf des 30.09.2018 unwirksam geworden; gem. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG sei ein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten zustande gekommen.

Unstreitig sei der Kläger ab dem 31.03.2014 an die Beklagte überlassen worden und dort – ausgehend vom 01.04.20217 – auf Grundlage der Übergangsvorschrift in § 19 Abs. 2 AÜG länger als 18 aufeinanderfolgende Monate, nämlich bis zum 31.05.2019, tätig gewesen.

Die Überlassungshöchstdauer könne jedoch gem. § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG in einem Tarifvertrag der Einsatzbranche abweichend von § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG festgelegt werden. § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG differenziere nicht danach, welches der beiden Verbote gem. § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG tariflich verändert werden dürfe (über 18 Monate hinaus als Verleiher "überlassen" gem. HS. 1 oder als Entleiher "tätig werden lassen" nach HS. 2). Die erneute Wiederholung des Begriffs „Überlassungshöchstdauer“, der nicht zwischen den Alternativen „überlassen“ und „tätig werden lassen“ differenziere, könnte nahelegen, dass ausschließlich eine Abweichung von § 1 Abs. 1 b S. 1, HS. 1 AÜG gemeint sein könnte. Andere Stimmen meinten dagegen, die Tarifdispositivität erstrecke sich nur auf das an den Kunden gerichtete Einsatzverbot (vgl. Ulber, § 1 AÜG Rn. 283a). Beide Ansichten widersprächen aber erkennbar dem Willen des Gesetzgebers, den dieser mit der Einführung des § 1 Abs. 1 b AÜG mit Wirkung ab dem 01.04.2017 verfolge. Vielmehr habe dieser in beiden Rechtsverhältnissen der Dreiecksbeziehung eine Veränderung der Grenze von 18 Monaten gestatten wollen. Der Gesetzgeber habe das System der Arbeitnehmerüberlassung auf der einen Seite bewusst so gestaltet, dass streng zwischen dem Arbeitsverhältnis zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer und den Überlassungsvertrag zwischen dem Personaldienstleister und dem Kunden zu unterscheiden sei (vgl. BT-Drucksache 17/4804, S. 7). Auf der anderen Seite habe er mit der Neuregelung des § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG ermöglichen wollen, dass das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung auch weiterhin flexibel und bedarfsgerecht eingesetzt werden könne. Zu diesem Zweck solle durch Tarifverträge der Einsatzbranche ermöglicht werden, die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten zu verkürzen oder auszudehnen (BT-Drucksache 18/9232, S. 20). Diese mit der gesetzlichen Ermächtigung beabsichtigte Flexibilisierung werde nur erreicht, wenn zum einen eine Abweichung von § 1 Abs. 1 b S. 1, HS. 1 AÜG erlaubt werde, weil nur dadurch die Rechtsfolge nach §§ 9 Abs. 1 Nr.1 b, 10 Abs. 1 AÜG verhindert werden könne. Zum anderen müsse, um eine solche flexibel geänderte Überlassungsdauer realisieren zu können, auch auf der Ebene des Einsatzbetriebes eine Regelung gefunden werden, die es dem Kunden überhaupt ermögliche, von der veränderten Einsatzmöglichkeit Gebrauch zu machen und den Zeitarbeitnehmer entsprechend tätig werden zu lassen. § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG lasse somit tarifliche Abweichungen bezogen auf beide Vertragsverhältnisse der Dreiecksbeziehung zu.

Eröffne § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG aber tarifliche Regelungsmöglichkeiten für beide Ebenen des bei der Arbeitnehmerüberlassung regelmäßig anzutreffenden Dreiecksverhältnisses, bedürfe es einer Klärung, ob eine hierauf beruhende tarifliche Bestimmung Betriebs- oder Inhaltsnormcharakter habe. Dies sei für jede der beiden Ebenen getrennt zu untersuchen. Die Frage sei deshalb relevant, weil bei einer Charakterisierung der entsprechenden tariflichen Regelungen als Inhaltsnorm für eine unmittelbare und zwingende Wirkung eine beiderseitige Tarifbindung erforderlich wäre (§§ 3 Abs.1, 4 Abs. 1 S. 1 TVG), bei einer Betriebsnorm dagegen die alleinige Tarifbindung des Arbeitgebers ausreichen würde (§§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 TVG).

Soweit unter Ausnutzung der Ermächtigung in § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG Bestimmungen über das Einsatzverhältnis getroffen, also Abweichungen zu § 1 Abs. 1 b S. 1, HS. 2 AÜG festgelegt würden, handele es sich nach ganz überwiegender Meinung um Betriebsnormen (vgl. Schüren/ Hamann, § 1 AÜG Rn. 355; Ulrici, § 1 AÜG Rn. 99; Ulber, RdA 2018, 52). Dies decke sich mit der Zwecksetzung des Gesetzgebers, nach der die Überlassungshöchstdauer der dauerhaften Substitution von Stammbeschäftigten durch Zeitarbeitnehmer entgegenwirken solle (BT-Drucksache 18/9232, S. 20). Es gehe also um die Grenzziehung, ab wann diese Substitutionsgefahr gesehen werde. Diese Grenze könne nur einheitlich unter Einbeziehung aller Zeitarbeitnehmer gezogen werden – unabhängig davon, ob diese tarifgebunden seien oder nicht. Es gehe nur um das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft als Kollektiv und um dessen Zusammensetzung, bei der dem Arbeitgeber Grenzen gesetzt würden.

Regele ein Tarifvertrag dagegen auch, wie lange ein Arbeitnehmer vom Personaldienstleister überlassen werden dürfe (Abweichung von § 1 Abs. 1 b S. 1, HS. 1 AÜG), handele es sich um eine (negative) (...)



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