Heft 10/2022

Heft Oktober 2022

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 10/22 - Inhalt

  • Wohlstandssicherung durch Fachkräftesicherung

  • Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven Die Entzauberung von fünf Mythen zum neuen NachwG

  • ManpowerGroup Arbeitsmarktbarometer für Q4/2022: Deutsche Personalentscheider*innen berichten von optimistischen Einstellungsabsichten für das vierte Quartal - bei anhaltendem Fachkräftemangel

  • IAB-Arbeitsmarktbarometer sinkt auf den niedrigsten Stand seit 2020

  • 10. Potsdamer Rechtsforum Viele gesetzliche Hürden für die Zeitarbeitsbranche

  • Deutschland sucht Digital-Experten, die Daten nutzen statt verwalten

  • Erfolgreiches Recruiting in herausfordernden Zeiten: Trenkwalder gehört zu Deutschlands krisenfestesten Unternehmen und wurde erneut mit dem BEST RECRUITERS Siegel in Silber ausgezeichnet

  • 12. "Thementag Personalvermittlung" legt den Fokus auf KI im Recruiting - "Die IT muss menschlicher werden, die HR muss technischer werden"

  • Im Rahmen einer internen Nachfolgeregelung: Neuer Chief Executive Officer bei Orizon

  • Workforce Management: Die Hälfte der Unternehmen ist mit ihrer Personalstrategie nicht zufrieden

  • BAP Job-Navigator 10/2022: »Arbeitgeberdarstellung in Jobangeboten« – Aktuelle Analyse: Wertschätzung und offene Kommunikation gewinnen an Bedeutung

  • Brückentage - Urlaub - Weihnachtsfeier: arbeitsrechtliche Fragen zur Weihnachtszeit

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven

Die Entzauberung von fünf Mythen zum neuen NachwG

Manchmal geht es bei der Gesetzgebung dann doch recht schnell: der Bundestag hat am 23.06.2022 in zweiter und dritter Lesung Neuerungen im NachwG verabschiedet, die schon zum 01.08.2022 in Kraft getreten sind. Grund hierfür ist, dass die Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen (2019/1152, sog. Arbeitsbedingungenrichtlinie) am 31.07.2022 ablief. Diese verfolgt das Ziel einer einheitlichen Unterrichtung der Arbeitnehmer über die wesentlichen Aspekte ihres Arbeitsverhältnisses, um Transparenz und Vorhersehbarkeit, insbesondere in atypischen Arbeitsverhältnissen, wie in der Gig Economy, zu schaffen. Nachfolgend stellen wir mit fünf Mythen dar, die sich binnen kürzester Zeit um die Auslegung und Anwendung des NachwG entwickelt haben, und "entzaubern" diese.

I. Einleitung

Zwar wurden auch andere Gesetze, wie das TzBfG sowie das AÜG, partiell geändert. Im Wesentlichen wird die Arbeitsbedingungenrichtlinie aber durch eine Ausweitung der arbeitgeberseitigen Nachweispflichten nach dem NachwG umgesetzt. Letzteres war schon zuvor vielen Arbeitgebern ein Begriff, mangels einer „echten“ Sanktionierung von Verstößen gegen die Nachweispflichten wurde dem „zahnlosen Tiger“ aber vielerorts wenig Beachtung geschenkt. Dies soll und wird sich nun ändern: nach § 4 NachwG sind Verstöße gegen die Pflichten des NachwG nun allgemein und nicht mehr nur für Zeitarbeitsunternehmen (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 8 AÜG) bußgeldbewehrt – ordnungswidrig handelt seit dem 01.08.2022, wer einen Nachweis über wesentliche Vertragsbedingungen nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigt. Der Bußgeldrahmen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR.

Zudem wurde der Kreis der wesentlichen Vertragsbedingungen, die schriftlich niederzulegen sind (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG), insbesondere um folgende Informationen erweitert:

- (sofern vereinbart) die Dauer der vereinbarten Probezeit und die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden sowie deren Voraussetzungen,

- die vereinbarten Ruhepausen und -zeiten sowie bei Vereinbarung von Schichtarbeit, das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen,

- das beim Ausspruch einer Kündigung einzuhaltende Verfahren (inklusive des Schriftformerfordernisses der Kündigung),

- die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts (einschließlich Überstundenvergütung, Zuschläge, Zulagen und Prämien sowie etwaige Sonderzahlungen).

Der Verabschiedung des Gesetzes ging eine mitunter heftige Debatte, insbesondere um die Frage der Form des Nachweises, voraus. Unter anderem gegen die Stimmen verschiedener Arbeitgeberverbände sieht das NachwG zukünftig weiterhin die Schriftform für den zu erbringenden Nachweis vor. Eine Unterrichtung in der elektronischen Form ist – wie auch schon nach der alten Rechtslage – ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. § 2 Abs. 1 S. 3 NachwG). Damit macht der Gesetzgeber nicht von der in der Arbeitsbedingungenrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, den Nachweis in elektronischer Form zu erbringen. Die Schriftform war im Gesetzgebungsverfahren insbesondere vom DGB genauso gefordert worden, da – so zumindest die Behauptung – nur diese „die beste Beweiskraft in juristischen Auseinandersetzungen“ biete und sich vor allem prekär Beschäftigte Vertragsbedingungen nicht in einer Datei herunterladen würden. Ganz überwiegend wurde das Erfordernis der Schriftform aber – und dies vollkommen zu Recht – als „Bürokratismus in Reinform“ (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) kritisiert. Wörtlich heißt es sehr trefflich in einer im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eingebrachten Stellungnahme von Gesamtmetall, dem Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie e.V.:

"Besonders kritisch ist, dass der deutsche Gesetzgeber die wenigen sinnvollen Ausnahmemöglichkeiten der Richtlinie nicht nutzt, etwa Erleichterungen für KMU oder die Möglichkeit zu zeitgemäßer, d.h. digitaler Kommunikation auch im Arbeitsverhältnis. Hier soll der antiquierte Rechtszustand aus dem Jahr 1995 fortgeführt werden, insbesondere durch ein starres Festhalten an der sog. Schriftform bei der Erfüllung der umfangreichen Nachweispflichten. Auch dies führt im Ergebnis zu einem erheblichen Aufbau von Bürokratie und wirft die Digitalisierung im Arbeitsverhältnis um Jahrzehnte zurück."

So bedauernswert es ist, die grundsätzliche Frage der Form des Nachweises ist damit (zunächst) entschieden. Offen bleibt für den Rechtsanwender hingegen eine Reihe anderer Fragen, die oftmals das Resultat einer nur mäßigen Umsetzung der Vorgaben der Arbeitsbedingungenrichtlinie durch den Gesetzgeber sind und bezüglich derer unmittelbarer Handlungsbedarf besteht. Wir räumen nachfolgend mit fünf mythisch anmutenden Fehlvorstellungen auf!

II. Mythen zum NachwG

Ab dem 01.08.2022 müssen wegen der Neufassung des NachwG alle fortan nachweisrelevanten Vertragsbedingungen schriftlich niedergelegt werden. Das gilt sowohl für Neu- als auch für die Bestandsverträge von Alt-Arbeitnehmern.

Falsch: Die Pflicht zur Unterrichtung über den erweiterten Katalog der nachweispflichtigen Vertragsbedingungen gilt ab dem 01.08.2022 nur für Neuverträge sowie nachweisrelevante Änderungen von Altverträgen.

Konsequenz: bezüglich Altverträgen von Bestandsarbeitnehmern können Arbeitgeber zunächst einmal aufatmen und abwarten. Erst wenn Unternehmen vom Arbeitnehmer dazu aufgefordert werden, müssen diese binnen sieben Tagen (bzw. für die übrigen Ziffern des § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG innerhalb eines Monats – wir empfehlen allerdings eine einheitliche Unterrichtung zum früheren Zeitpunkt) eine Niederschrift beibringen, die die Angaben des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 10 NachwG enthält (§ 5 NachwG).

Gleiches gilt unseres Erachtens für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverträge zwar vor dem 01.08.2022 abgeschlossen worden sind, die aber erst zum 01.08.2022 oder später in Kraft treten. Zwar ist strittig, auf welchen Zeitpunkt es im Rahmen von § 5 NachwG ankommt. Es sprechen aber die besseren Argumente dafür, dass diese Spezialfälle unter die Übergangsvorschrift des § 5 NachwG fallen und nur eine Nachweispflicht auf Anforderung besteht. Letztlich wird diese Frage von den Gerichten beantwortet werden. Ohnehin bleibt es aber risikoaversen Arbeitgebern unbenommen, vorsorglich in diesen Fällen auch ohne Aufforderung schriftlich zu unterrichten.

Für einen unmittelbareren Handlungsbedarf ab dem 01.08.2022 sorgen die gesetzlichen Neuerungen daher zunächst nur bei Neuverträgen (vgl. § 2 NachwG) und Vertragsänderungen (vgl. § 3 NachwG). Ansonsten drohen Bußgelder: wer nicht oder nicht richtig unterrichtet, handelt ordnungswidrig (vgl. § 4 NachwG).

Bußgeldbewehrt ist auch die Pflicht, dem Bestandsarbeitnehmer auf Verlangen spätestens am siebten Tag nach Zugang der Aufforderung eine Niederschrift mit den Erfordernissen des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 10 NachwG auszuhändigen.

Falsch: Zwar ist richtig, dass eine solche Pflicht besteht (s.o.). Anders als bei der Nachweispflicht bei einem Neuabschluss ist der Verstoß gegen den Nachweis auf Verlangen des Bestandsarbeitnehmers aber unseres Erachtens nicht bußgeldbewehrt. Denn die Pflicht nach § 5 NachwG ist – anders als die Pflichten aus §§ 2, 3 NachwG – nicht ausdrücklich in den Bußgeldtatbeständen des § 4 NachwG genannt. Hier gilt der Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ (nulla poena sine lege).

Apropos Sanktionen: ein fehlender Hinweis auf die Klagefrist für die Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) führt nicht nur zu einem Bußgeld. Folge ist zudem, dass Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist eine Kündigungsschutzklage erheben können.

Falsch: Zwar ist richtig, dass Arbeitgeber in Zukunft gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG u.a. über die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu unterrichten haben. Der Gesetzgeber stellt aber ausdrücklich klar, dass

§ 7 des Kündigungsschutzgesetzes […] auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden

ist (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 a.E. NachwG).

Dies bedeutet: die Dreiwochenfrist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage aus § 4 KSchG ist für Arbeitnehmer auch dann zu beachten, wenn der Arbeitgeber nicht gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG darüber informiert hat. Versäumt der Arbeitnehmer die Klagefrist, gilt die Kündigung daher ebenfalls bei dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises im schriftlichen Nachweis der Vertragsbedingungen als wirksam (sog. Präklusionswirkung).

Zugegeben: von der Frage der Wirksamkeit der Kündigung zu trennen ist, ob die Rechtsprechung im Fall einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung über die Klagefrist nicht einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers annehmen wird. Dies kommt zumindest dann in Betracht, wenn dieser darlegen kann, dass er bei rechtzeitiger (...)



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