Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Die
Entzauberung von fünf Mythen zum neuen NachwG
Manchmal
geht es bei der Gesetzgebung dann doch recht schnell: der
Bundestag hat am 23.06.2022 in zweiter und dritter Lesung
Neuerungen im NachwG verabschiedet, die schon zum 01.08.2022 in
Kraft getreten sind. Grund hierfür ist, dass die Frist zur
Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare
Arbeitsbedingungen (2019/1152, sog. Arbeitsbedingungenrichtlinie)
am 31.07.2022 ablief. Diese verfolgt das Ziel einer einheitlichen
Unterrichtung der Arbeitnehmer über die wesentlichen Aspekte
ihres Arbeitsverhältnisses, um Transparenz und Vorhersehbarkeit,
insbesondere in atypischen Arbeitsverhältnissen, wie in der Gig
Economy, zu schaffen. Nachfolgend stellen wir mit fünf Mythen
dar, die sich binnen kürzester Zeit um die Auslegung und
Anwendung des NachwG entwickelt haben, und "entzaubern"
diese.
I.
Einleitung
Zwar
wurden auch andere Gesetze, wie das TzBfG sowie das AÜG, partiell
geändert. Im Wesentlichen wird die Arbeitsbedingungenrichtlinie
aber durch eine Ausweitung der arbeitgeberseitigen
Nachweispflichten nach dem NachwG umgesetzt. Letzteres war schon
zuvor vielen Arbeitgebern ein Begriff, mangels einer „echten“
Sanktionierung von Verstößen gegen die Nachweispflichten wurde
dem „zahnlosen Tiger“ aber vielerorts wenig Beachtung
geschenkt. Dies soll und wird sich nun ändern: nach § 4 NachwG
sind Verstöße gegen die Pflichten des NachwG nun allgemein und
nicht mehr nur für Zeitarbeitsunternehmen (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2
i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 8 AÜG) bußgeldbewehrt – ordnungswidrig
handelt seit dem 01.08.2022, wer einen Nachweis über wesentliche
Vertragsbedingungen nicht, nicht richtig, nicht vollständig,
nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig
aushändigt. Der Bußgeldrahmen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR.
Zudem
wurde der Kreis der wesentlichen Vertragsbedingungen, die
schriftlich niederzulegen sind (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG),
insbesondere um folgende Informationen erweitert:
-
(sofern vereinbart) die Dauer der vereinbarten Probezeit und die
Möglichkeit der Anordnung von Überstunden sowie deren
Voraussetzungen,
-
die vereinbarten Ruhepausen und -zeiten sowie bei Vereinbarung von
Schichtarbeit, das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die
Voraussetzungen für Schichtänderungen,
-
das beim Ausspruch einer Kündigung einzuhaltende Verfahren
(inklusive des Schriftformerfordernisses der Kündigung),
-
die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts
(einschließlich Überstundenvergütung, Zuschläge, Zulagen und
Prämien sowie etwaige Sonderzahlungen). Der
Verabschiedung des Gesetzes ging eine mitunter heftige Debatte,
insbesondere um die Frage der Form des Nachweises, voraus. Unter
anderem gegen die Stimmen verschiedener Arbeitgeberverbände sieht
das NachwG zukünftig weiterhin die Schriftform für den zu
erbringenden Nachweis vor. Eine Unterrichtung in der
elektronischen Form ist – wie auch schon nach der alten
Rechtslage – ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. § 2 Abs. 1 S. 3
NachwG). Damit macht der Gesetzgeber nicht von der in der
Arbeitsbedingungenrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch,
den Nachweis in elektronischer Form zu erbringen. Die Schriftform
war im Gesetzgebungsverfahren insbesondere vom DGB genauso
gefordert worden, da – so zumindest die Behauptung – nur diese
„die beste Beweiskraft in juristischen Auseinandersetzungen“
biete und sich vor allem prekär Beschäftigte Vertragsbedingungen
nicht in einer Datei herunterladen würden. Ganz überwiegend
wurde das Erfordernis der Schriftform aber – und dies vollkommen
zu Recht – als „Bürokratismus in Reinform“
(Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) kritisiert.
Wörtlich heißt es sehr trefflich in einer im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens eingebrachten Stellungnahme von
Gesamtmetall, dem Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der
Metall- und Elektroindustrie e.V.: "Besonders
kritisch ist, dass der deutsche Gesetzgeber die wenigen sinnvollen
Ausnahmemöglichkeiten der Richtlinie nicht nutzt, etwa
Erleichterungen für KMU oder die Möglichkeit zu zeitgemäßer,
d.h. digitaler Kommunikation auch im Arbeitsverhältnis. Hier soll
der antiquierte Rechtszustand aus dem Jahr 1995 fortgeführt
werden, insbesondere durch ein starres Festhalten an der sog.
Schriftform bei der Erfüllung der umfangreichen
Nachweispflichten. Auch dies führt im Ergebnis zu einem
erheblichen Aufbau von Bürokratie und wirft die Digitalisierung
im Arbeitsverhältnis um Jahrzehnte zurück." So
bedauernswert es ist, die grundsätzliche Frage der Form des
Nachweises ist damit (zunächst) entschieden. Offen bleibt für
den Rechtsanwender hingegen eine Reihe anderer Fragen, die oftmals
das Resultat einer nur mäßigen Umsetzung der Vorgaben der
Arbeitsbedingungenrichtlinie durch den Gesetzgeber sind und
bezüglich derer unmittelbarer Handlungsbedarf besteht. Wir
räumen nachfolgend mit fünf mythisch anmutenden
Fehlvorstellungen auf! II.
Mythen zum NachwG Ab
dem 01.08.2022 müssen wegen der Neufassung des NachwG alle fortan
nachweisrelevanten Vertragsbedingungen schriftlich niedergelegt
werden. Das gilt sowohl für Neu- als auch für die
Bestandsverträge von Alt-Arbeitnehmern. Falsch:
Die Pflicht zur Unterrichtung über den erweiterten Katalog der
nachweispflichtigen Vertragsbedingungen gilt ab dem 01.08.2022 nur
für Neuverträge sowie nachweisrelevante Änderungen von
Altverträgen. Konsequenz:
bezüglich Altverträgen von Bestandsarbeitnehmern können
Arbeitgeber zunächst einmal aufatmen und abwarten. Erst wenn
Unternehmen vom Arbeitnehmer dazu aufgefordert werden, müssen
diese binnen sieben Tagen (bzw. für die übrigen Ziffern des § 2
Abs. 1 S. 2 NachwG innerhalb eines Monats – wir empfehlen
allerdings eine einheitliche Unterrichtung zum früheren
Zeitpunkt) eine Niederschrift beibringen, die die Angaben des § 2
Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 10 NachwG enthält (§ 5 NachwG). Gleiches
gilt unseres Erachtens für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverträge
zwar vor dem 01.08.2022 abgeschlossen worden sind, die aber erst
zum 01.08.2022 oder später in Kraft treten. Zwar ist strittig,
auf welchen Zeitpunkt es im Rahmen von § 5 NachwG ankommt. Es
sprechen aber die besseren Argumente dafür, dass diese
Spezialfälle unter die Übergangsvorschrift des § 5 NachwG
fallen und nur eine Nachweispflicht auf Anforderung besteht.
Letztlich wird diese Frage von den Gerichten beantwortet werden.
Ohnehin bleibt es aber risikoaversen Arbeitgebern unbenommen,
vorsorglich in diesen Fällen auch ohne Aufforderung schriftlich
zu unterrichten. Für
einen unmittelbareren Handlungsbedarf ab dem 01.08.2022 sorgen die
gesetzlichen Neuerungen daher zunächst nur bei Neuverträgen
(vgl. § 2 NachwG) und Vertragsänderungen (vgl. § 3 NachwG).
Ansonsten drohen Bußgelder: wer nicht oder nicht richtig
unterrichtet, handelt ordnungswidrig (vgl. § 4 NachwG). Bußgeldbewehrt
ist auch die Pflicht, dem Bestandsarbeitnehmer auf Verlangen
spätestens am siebten Tag nach Zugang der Aufforderung eine
Niederschrift mit den Erfordernissen des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
bis 10 NachwG auszuhändigen. Falsch:
Zwar ist richtig, dass eine solche Pflicht besteht (s.o.). Anders
als bei der Nachweispflicht bei einem Neuabschluss ist der
Verstoß gegen den Nachweis auf Verlangen des
Bestandsarbeitnehmers aber unseres Erachtens nicht
bußgeldbewehrt. Denn die Pflicht nach § 5 NachwG ist – anders
als die Pflichten aus §§ 2, 3 NachwG – nicht ausdrücklich in
den Bußgeldtatbeständen des § 4 NachwG genannt. Hier gilt der
Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ (nulla poena sine lege). Apropos
Sanktionen: ein fehlender Hinweis auf die Klagefrist für die
Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) führt nicht nur zu einem
Bußgeld. Folge ist zudem, dass Arbeitnehmer auch nach Ablauf der
Dreiwochenfrist eine Kündigungsschutzklage erheben können. Falsch:
Zwar ist richtig, dass Arbeitgeber in Zukunft gem. § 2 Abs. 1 S.
2 Nr. 14 NachwG u.a. über die Frist zur Erhebung einer
Kündigungsschutzklage zu unterrichten haben. Der Gesetzgeber
stellt aber ausdrücklich klar, dass §
7 des Kündigungsschutzgesetzes […] auch bei einem nicht
ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer
Kündigungsschutzklage anzuwenden ist
(vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 a.E. NachwG). Dies
bedeutet: die Dreiwochenfrist zur Erhebung der
Kündigungsschutzklage aus § 4 KSchG ist für Arbeitnehmer auch
dann zu beachten, wenn der Arbeitgeber nicht gem. § 2 Abs. 1 S. 2
Nr. 14 NachwG darüber informiert hat. Versäumt der Arbeitnehmer
die Klagefrist, gilt die Kündigung daher ebenfalls bei dem Fehlen
eines entsprechenden Hinweises im schriftlichen Nachweis der
Vertragsbedingungen als wirksam (sog. Präklusionswirkung). Zugegeben:
von der Frage der Wirksamkeit der Kündigung zu trennen ist, ob
die Rechtsprechung im Fall einer fehlenden oder fehlerhaften
Unterrichtung über die Klagefrist nicht einen
Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers annehmen wird. Dies kommt
zumindest dann in Betracht, wenn dieser darlegen kann, dass er bei
rechtzeitiger (...)
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