Heft 08/2022

Heft August 2022

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 08/22 - Inhalt

  • Redet Deutschland sich schlecht? - Krise ist kein Schicksal!

  • Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven Erneut vor Gericht - die vorgebliche Unzulässigkeit eines Erlaubnisinhabers!

  • Fachkräftemangel: Größte Lücken in typischen Männer- und Frauenberufen

  • BAP Job-Navigator 8/2022: "Top 10 Berufsgruppen" Aktuelle Analyse: Fachkräfte im Bauwesen und Handwerk sowie technische Experten sind am gefragtesten

  • Organisationsentwicklung im Miteinander – I.K. Hofmann GmbH erneut für Vereinbarkeitszertifikat mit Prädikat geehrt

  • Zehn Jahre Blue Card: Einwanderung bleibt für Fachkräfte weiterhin uninteressant

  • Bundesarbeitsgericht: Annahmeverzug nach Vorlage eines negativen Corona-Tests

  • Schon mehr als 50 Prozent in der CSR-Schublade

  • Ukraine-Geflüchtete: Unternehmen sehen hohes Beschäftigungspotenzial

  • IAB-Stellenerhebung für das zweite Quartal 2022: Offene Stellen erreichen mit 1,93 Millionen erneut ein Allzeithoch

  • Paul-Benjamin Gashon "Sie sind gefeuert!"- Wie fristlose Kündigungen in Deutschland funktionieren

  • Verstärkte Maßnahmen der OÖ Personaldienstleister für und mit Jugendlichen – Jugendliche schätzen Personaldienstleister

  • Arbeitsgericht Siegburg: Fristlose Kündigung wegen unterschlagener Trinkgelder

  • Amtsantritt an der Spitze: Vorstandsvorsitzende Andrea Nahles nimmt Arbeit auf

  • Swiss Staffingindex: Abkühlende Wirtschaftslage
    zeigt Folgen für Personaldienstleister

  • IAB-Arbeitsmarktbarometer sinkt erneut

  • Die Politik macht eine Rolle rückwärts in die Vergangenheit

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven

Erneut vor Gericht – die vorgebliche Unzulässigkeit eines Erlaubnisinhabers!

Bekanntermaßen kann eine bereits erteilte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis widerrufen werden, wenn sich der Erlaubnisinhaber als unzuverlässig erweist (vgl. § 5 AÜG). Bei einer nur befristeten Erlaubnis nach § 1 AÜG kann aus den gleichen Gründen eine beantragte Verlängerung versagt werden (§ 3 Abs. 1 AÜG). Die BA als zuständige Prüfbehörde entscheidet darüber, ob ein Erlaubnisinhaber zuverlässig ist oder nicht. Da die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis für einen Personaldienstleister regelmäßig existenziell ist, zumindest wenn der wirtschaftliche Schwerpunkt seiner Tätigkeit überwiegend oder ausschließlich in der Überlassung, zu verorten ist, entsteht in der Praxis regelmäßig Streit darüber, ob die BA zu einer entsprechenden Maßnahme berechtigt war – dies auch vor dem Hintergrund, dass sich die "Aktivitäten" der Behörde in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren nicht unerheblich erhöht haben. Hinzu kommt, dass ein gegen einen Versagungs- oder Widerrufsbescheid eingelegtes Rechtsmittel (hier: Widerspruch und Klage) keine aufschiebende Wirkung hat. Der Personaldienstleister ist daher regelmäßig auf die Inanspruchnahme von einstweiligem Rechtsschutz angewiesen, möchte dieser seinem Geschäft weiter nachgehen können.

Mit einem interessanten Fall musste sich das LSG Hamburg – allerdings in einem Hauptsacheverfahren – kürzlich befassen. Das Gericht entschied – um es vorwegzunehmen – erfreulicherweise zugunsten der Klägerin und erteilte die beantragte Erlaubnis, obwohl diese über einen längeren Zeitraum illegal Arbeitnehmer überlassen hat (vgl. LSG Hamburg v. 06.04.2022 – L 2 AL 17/21; Az. der Vorinstanz: S 14 AL 486/19).

I. Zusammenfassung der Entscheidung

Die von der Klägerin eingelegte Berufung erwies sich als begründet, da sich die Bescheide vom 03.09.2019 und vom 01.03.2021, mit denen die BA dieser die Erteilung einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung versagt hat, rechtswidrig seien. Das einmalige Fehlverhalten der Klägerin in der Vergangenheit rechtfertige – so die Ansicht des LSG Hamburg – angesichts der im Übrigen beanstandungsfreien Erfüllung ihrer Berufspflichten nicht die Prognose, sie sei unzuverlässig. Da keine Tatsachen feststünden, die die Prognose der Unzuverlässigkeit der Klägerin rechtfertigten, habe diese einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Erlaubnis.

Gem. § 1 Abs. 1 AÜG sei die Arbeitnehmerüberlassung grundsätzlich nur mit einer Erlaubnis zulässig. Auf deren Erteilung bestehe ein Rechtsanspruch, wenn keine Versagungsgründe vorlägen. Diese ergäben sich aus § 3 AÜG. Danach sei die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Antragsteller

- die für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze, insbesondere weil er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über die Anwerbung im Ausland, die Ausländerbeschäftigung, über die Arbeitserlaubnis, die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhalte,

- nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation nicht in der Lage sei, die üblichen Arbeitgeberpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen oder

- dem Zeitarbeitnehmer die ihm nach § 8 AÜG zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts nicht gewähre.

§ 3 Abs. 1 AÜG zähle nur Beispielsfälle für die mangelnde Zuverlässigkeit für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG auf („insbesondere“). Zur Auslegung sei auch der Zweck der Vorschrift als präventive Zugangsschranke heranzuziehen. Dieser sei es, im Interesse der Sicherheit des sozialen Schutzes der Zeitarbeitnehmer unzuverlässige Personaldienstleister aus dem Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung auszuscheiden (BTDrucksache VI/2303, S. 9, 11).

Der Versagungsgrund der Unzuverlässigkeit stelle einen gerichtlich nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff dar. Maßgebend sei hierbei eine Prognose für die Zukunft, also ein aus den vorhandenen tatsächlichen Umständen der Vergangenheit und der Gegenwart gezogener Schluss auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten der Antragstellerin. Maßgebender Zeitpunkt für die Prüfung der Sachund Rechtslage sei hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens im Hauptsacheverfahren der Schluss der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz (hier: in der Berufung). Führe die Prognose zu keinem klaren Ergebnis, gehe dies zu Lasten der Erlaubnisbehörde. Zu berücksichtigen sei, dass bei der Erlaubnisprüfung und -versagung zugunsten der Behörde eine Beweiserleichterung gelte; sie müsse – in einem Klageverfahren – nicht das Vorliegen des Versagungsgrundes selbst beweisen, sondern nur die Tatsachen dartun, die eine solche Annahme rechtfertigten ("wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen").

Vorliegend sei der Vorfall, aus dem die BA den Versagungsgrund ableite, unstreitig. Die genauen Umstände, wie es dazu gekommen sei, dass die Klägerin den Verlängerungsantrag seinerzeit nicht abgegeben habe, seien aber ungeklärt und ließen sich nicht mehr vollständig aufklären. Während die Klägerin angebe, ihr Geschäftsführer habe den Antrag unterzeichnet und selbiger sei dann durch ein Büroversehen nicht abgeschickt worden, habe die Beklagte wegen der Begründung des Antrages vom 18.06.2018 behauptet, dass die Klägerin bewusst keinen Verlängerungsantrag gestellt und sehenden Auges trotzdem die Überlassungstätigkeit weitergeführt habe. Dagegen spreche jedoch, dass kein Grund erkennbar sei, weshalb die Klägerin, die vor und nach diesem „erlaubnislosen“ Jahr stets eine Erlaubnis beantragt und erhalten habe, dies bewusst und unter Inkaufnahme eines hohen Risikos unterlassen haben sollte. Das LSG Hamburg geht vor diesem Hintergrund nicht davon aus, dass die Klägerin die Erlaubnis bewusst, also vorsätzlich, nicht habe verlängern lassen. Dafür sei auch das erst im Rahmen der Betriebsprüfung eingestandene Versäumnis kein stichhaltiges Indiz. Eher sei anzunehmen, dass der Klägerin der Fehler erst in diesem Zusammenhang aufgefallen sei.

Der Beklagten sei zuzugeben, dass die Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis an sich eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstelle. Gesetzesverstöße im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG führten grundsätzlich zur Annahme der Unzuverlässigkeit des Personaldienstleisters, wenn sie sich gegen Kernpflichten richteten, die dem Verleiher gegenüber den Zeitarbeitnehmern oblägen. Ein solches Verhalten lasse befürchten, dass er sein Gewerbe nicht in Einklang mit den bestehenden rechtlichen Vorschriften ausüben werde. Zwar treffe es zu, dass sowohl der Überlassungs- als auch der Arbeitsvertrag unwirksam seien (§ 9 Nr. 1 AÜG). Der Zeitarbeitnehmer sei aber gleichwohl nicht schutzlos, da in diesem Fall nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kunden und Zeitarbeitnehmer als zustande gekommen fingiert werde.

Hiesig sei zudem von Bedeutung, dass sich die Klägerin nicht in bedenkenloser Weise über die Erlaubnispflicht hinweggesetzt, sondern es lediglich in einem Jahr versäumt habe, die bereits erteilte Erlaubnis verlängern zu lassen. Während bewusste Pflichtverstöße als Indiz für die Wiederholungsgefahr berücksichtigt werden könnten, sei einmaligen fahrlässigen Verstößen eine solche Indizwirkung nicht zuzuschreiben. Da die Erlaubnispflicht dem Schutz der Zeitarbeitnehmer diene, komme es für die Prognose der Unzuverlässigkeit maßgebend und vor allem darauf an, ob der Sozialversicherungsschutz sowie die Sicherung von Kündigungsschutz sowie Lohn- und Urlaubsansprüchen gewährleistet worden seien. Zum Kernbereich zählten die Vergütung, Ansprüche auf Erholungsurlaub und sonstige Ansprüche auf geldwerte Leistungen. Verhaltensweisen der Klägerin, die dies in Frage stellen würden, seien jedoch nicht bekannt geworden. Wenn der soziale Schutz der Zeitarbeitnehmer in keiner Weise gefährdet werde, werde man in der Regel bei einer einmaligen Verletzung der Pflichten des Arbeitgebers eine Versagung der Erlaubnis nicht rechtfertigen können (vgl. LSG Niedersachsen- Bremen v. 27.06.2018 – L 7 AL 22/18 B ER). So liege es hier. Eine Gefährdung des Sozialschutzes der überlassenen Arbeitnehmer sei – abgesehen von der Folge der fehlenden Erlaubnis in der Zeit vom September 2017 bis September 2018 – nicht vorgetragen worden; eine solche sei sonst ebenfalls nicht ersichtlich. Insoweit komme den von der Klägerin vorgelegten elf Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Finanzverwaltung und von verschiedenen Sozialversicherungsträgern aus der Zeit zwischen 2017 und 2021 Bedeutung zu.

Für die Frage der Zuverlässigkeit sei nicht allein auf den Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung abzustellen. Der Antrag gelte vielmehr bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Erlaubnis, ggf. in einem gerichtlichen Verfahren, als fortlaufend gestellt. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Gericht komme es bei der vorliegenden Verpflichtungsklage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an (vgl. BSG v. 15.03.1995 – 6 RKa 23/94).

Da abgesehen von der erlaubnislosen Arbeitnehmerüberlassung im Jahr 2017 bis 2018 kein Fehlverhalten der Klägerin bekannt geworden sei, habe die Berufung Erfolg, da (...)



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