Heft 11/2021

Heft November 2021

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 11/21 - Inhalt

  • Corona-Situation verschärft sich wieder

  • Dr. Alexander Bissels und Kira Falter Anpassung der Branchenzuschlagstarifverträge: Handlungsbedarf für Personaldienstleister!

  • Wirtschaftlicher Aufschwung: Zeitarbeit setzt positives Signal

  • Ergebnisse der IAB-Stellenerhebung für das dritte Quartal 2021: Offene Stellenübertreffen mit 1,39 Millionen das Vorkrisenniveau im dritten Quartal 2019

  • Hays Studie: Mehr Flexibilität und Verantwortung - Was Mitarbeitende von Führungskräften erwarten

  • Verband der Arbeitskräfteüberlasser wehrt sich gegen Anschuldigungen von Arbeiterkammer Oberösterreich

  • Dr. Alexander Bissels und Kira Falter Die Überlassungshöchstdauer beim EuGH - der nächste Schritt!

  • Mehr als jeder Dritte Stellenwechsel in Deutschland erfolgt über Personalvermittler

  • Fachkräftemangel in deutschen Unternehmen größer als erwartet

  • BAP Job-Navigator 11/2021: "Weiterbildung" Aktuelle Analyse: Knapp 38 Prozent der Arbeitgeber nennen Weiterbildungen als Benefit in Stellenanzeigen

  • Ampelkoalition legt Vertrag vor - Zeitarbeit ein "notwendiges Instrument"

  • European Labour Market Barometer: trotz viertem Dämpfer in Folge über Vorkrisenniveau

  • Weihnachtsfeiern: 2G oder 3G?

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Kira Falter

Anpassung der Branchenzuschlagstarifverträge: Handlungsbedarf für Personaldienstleister!

Jüngst sind drei zwischen der VGZ und der IG Metall abgeschlossene Branchenzuschlagstarifverträge angepasst worden; dabei handelt es sich um den in der Praxis wichtigen TV BZ ME sowie den TV BZ HK und den TV BZ TB. 

1. Kriterium der Tarifbindung maßgeblich

Die vorgenommenen Änderungen betreffen den (betrieblichen) Geltungsbereich, indem folgende Bestimmung – exemplarisch für den TV BZ ME – in den Text des Tarifvertrages aufgenommen wurde:

„Als Kundenbetriebe der Metallund Elektrobranche in diesem Sinne gelten auch Betriebe, die (durch Mitgliedschaft oder Bezugnahmen in einem Haustarifvertrag) an ein regionales Tarifwerk der Metall- und Elektroindustrie gebunden sind.“

Gestrichen wurden hingegen der in der Praxis ohnehin wenig bedeutsame Satz in den o.g. Tarifverträgen, nach dem „ohne eindeutige Angabe des Kundenbetriebs zum angewendeten Tarifvertrag das Zeitarbeitsunternehmen den TV BZ ME anwenden kann.“

Die Formulierung im TV BZ HK und TV BZ TB ist mit der des TV BZ ME – (natürlich) unter Berücksichtigung des jeweils abweichenden Branchenfokus – identisch. Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich am TV BZ ME, können aber auf die beiden weiteren Tarifverträge grundsätzlich übertragen werden.

2. Hintergrund für die Anpassung der Tarifverträge

Die Tarifvertragsparteien reagierten damit auf die Rechtsprechung des BAG zur Bestimmung, ob ein branchenzuschlagspflichtiger Unterstützungsbetrieb vorliegt. Die Abgrenzung ist auf Grundlage dieser Judikatur in der Praxis regelmäßig herausfordernd und mit einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit verbunden. Zunächst hat der 5. Senat entschieden, dass als Unterstützungsbetriebe solche Betriebe zu qualifizieren sind, die nicht originär einem der in § 1 Abs. 2 S. 2, HS. 1 TV BZ ME genannten Wirtschaftszweige unterfallen, aber nach ihren ausschließlichen oder überwiegenden betrieblichen Tätigkeiten den Fertigungsprozess eines Katalogbetriebs unterstützen und deshalb zum entsprechenden Wirtschaftszweig in dem Sinne „gehören“, dass sie ihm zuzuordnen sind (vgl. BAG v. 22.02.2017 - 5 AZR 552/14; dazu: Bissels, jurisPR-ArbR 32/2017 Anm. 2). Nach Ansicht des BAG ist es nicht erforderlich, dass Katalog- und Unterstützungsbetrieb denselben Inhaber haben. Für eine solche – ungeschriebene – Voraussetzung bietet die Tarifnorm, so der 5. Senat, keinen Anhaltspunkt (BAG v. 22.02.2017 - 5 AZR 252/16; BAG v. 22.02.2017 - 5 AZR 453/15; dazu: Bissels, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 4).

Für die Bestimmung, ob ein Unterstützungsbetrieb vorliegt oder nicht, ist entsprechend diesem Zweck zu fragen, ob die unterstützende Tätigkeit des Einsatzbetriebs dem Fertigungsprozess eines Katalogbetriebs dient. Ein Unterstützungsbetrieb i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 2, HS. 2 TV BZ ME liegt somit nur dann vor, wenn dort Tätigkeiten am Produkt eines Betriebs der genannten Wirtschaftszweige zum Zwecke seiner Herstellung, Verbesserung, Reparatur, Ergänzung oder Zusammenfügung vorgenommen werden. Insoweit ist nach der Rechtsprechung des BAG erforderlich, dass der Einsatzbetrieb nach seinen ausschließlichen oder überwiegenden betrieblichen Tätigkeiten dem entsprechenden Wirtschaftszweig zuzuordnen ist. Konkret stellt das BAG sodann fest, dass sich die im Betrieb der Kunden überwiegend ausgeübten Tätigkeiten im Vertrieb nicht als eine solche Unterstützungstätigkeit begreifen lassen. Eine überwiegend ausgeübte Tätigkeit an einem Produkt, das der Metall- und Elektroindustrie zuzuordnen ist, lässt sich bei Vertriebstätigkeiten nicht feststellen. Der Vertrieb ist auch nicht unter den Begriff des Dienstleistungsbetriebs zu fassen. Die Auflistung der Unterstützungsbetriebe in § 1 Abs. 2 S. 2, HS. 2 TV BZ ME zeigt, dass auch der Dienstleistungsbetrieb – ebenso wie der Reparatur-, Zubehör- und Montagebetrieb – zumindest überwiegende Tätigkeiten an einem Produkt der Metall- und Elektroindustrie selbst ausführen muss (vgl. BAG v. 18.03.2020 - 5 AZR 430/18; dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 29/2020 Anm. 7).

Auf Grundlage der Rechtsprechung des BAG könnten Dienstleistungsbetriebe nur als Unterstützungsbetrieb branchenzuschlagspflichtig sein, wenn diese ausschließlich oder überwiegend Tätigkeiten mit einem unmittelbaren Produktionsbezug für einen Hauptbetrieb verrichten, wie z.B. im Bereich der Logistik (hier: Ein- und Auslagerungsvorgänge im Lager, Leerguthandling und die Abwicklung der Produktionsversorgung für den Kunden und dessen Hauptbetrieb, in dem Frontscheinwerfer für Pkw herstellt werden, vgl. BAG v. 22.02.2017 - 5 AZR 453/15; dazu: Bissels, jurisPRArbR 27/2017 Anm. 4). Diese (einschränkende) Auslegung des BAG verhinderte, dass über den Begriff des Unterstützungsbetriebs nahezu jeder Hilfs- oder Nebenbetrieb eines (branchenzuschlagspflichtigen) Hauptbetriebs ebenfalls als branchenzuschlagspflichtig anzusehen ist. Dies hätte zu einer vollkommenen Verwässerung des Begriffs des Unterstützungsbetriebs und durch die damit verbundene Konturlosigkeit in der Praxis zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit geführt, da – streng genommen – auch ein Kantinenbetrieb zumindest mittelbar die Produktion des Hauptbetriebs unterstützt. Einem derart uferlosen Verständnis eines Unterstützungsbetriebs war nach der Entscheidung des BAG die Grundlage entzogen, da zumindest keine Branchenzuschlagspflicht bestand, wenn in dem Betrieb Tätigkeiten verrichtet worden sind, die erst nach der Produktion anfielen, insbesondere – wie in dem vom BAG entschiedenen Fall – der Vertrieb oder der Versand. Gleiches gilt für Tätigkeiten, die der Produktion ohne direkten Bezug vorgelagert sind, z.B. die Forschung und Entwicklung, sowie die letztlich mittelbar unterstützend, aber ohne direkten Bezug zur Fertigung erbracht werden, z.B. Reinigungsarbeiten, allgemeine Verwaltungsaufgaben, Personalwirtschaft etc.

Die auf dem Papier einfach anmutende, in der Praxis doch im Einzelfall durchaus schwierige Abgrenzung über das Bestehen einer Branchenzuschlagspflicht kann sich durch die neu eingeführte tarifliche Bestimmung erledigen und auch gewisse „Störgefühle“ beseitigen, die oftmals aufgetreten sind, wenn ein an die M+E-Tarifverträge gebundener produzierender Hauptbetrieb (Herstellung von Kfz) unzweifelhaft dem betrieblichen Anwendungsbereich des TV BZ ME unterworfen wird, jedoch nicht der entleihende (Unterstützungs-)Betrieb einer konzernangehörigen Gesellschaft, die (ebenfalls) Mitglied im Arbeitgeberverband Metall ist und folglich für die dort tätigen Stammbeschäftigten die M+E-Flächentarifverträge anwendet, wenn in dem Einsatzbetrieb – ohne „Fertigungsbezug“ – ausschließlich für den Hauptbetrieb die gesamte Personalwirtschaft abgewickelt wird, insbesondere Dienstleistungen bei der Gehaltsabrechnung, Verwaltung des Fuhrparks etc. Auf Grundlage der bisherigen Fassung der o.g. Tarifverträge wäre die Überlassung in den Hauptbetrieb branchenzuschlagspflichtig, in den Unterstützungsbetrieb jedoch nicht, obwohl dies – zumindest nach einem „Bauchgefühl“ – angezeigt gewesen wäre, besteht doch – konkret vermittelt durch die Anwendung der entsprechenden Flächentarifverträge – unzweifelhaft eine (offensichtliche) Nähe zum M+E-Bereich.

Mit der tariflichen Regelung wird dieses „Störgefühl“ beseitigt und der Anwendungsbereich der o.g. drei Branchentarifzuschlagstarifverträge angepasst bzw. der Begriff des „Kundenbetriebs“ erweitert.

3. Inhaltliche Anforderungen an eine Tarifbindung

Voraussetzung für eine Branchenzuschlagspflicht ist dabei, dass eine Tarifbindung für den Einsatzbetrieb vorliegen muss. Der Kunde muss folglich Mitglied in dem jeweils zuständigen Arbeitgeberverband Metall sein, die dazu führt, dass die mit der IG Metall abgeschlossenen Flächentarifverträge im Einsatzbetrieb zur Anwendung kommen; eine sog. OT-Mitgliedschaft, d.h. eine solche ohne Tarifbindung, ist nicht ausreichend. Alternativ ist auch der Abschluss eines Hausvertrages ausreichend, der von dem Kunden mit der IG Metall geschlossen und in dem auf die Flächentarifverträge verwiesen wird. Unklar ist dabei aber, ob es sich bei diesem Haustarifvertrag um einen schlichten Anerkenntnistarifvertrag handeln muss, in dem die Regelungen im Flächentarifvertrag 1:1 übernommen werden, oder ob – wie in der Praxis häufig – der Haustarifvertrag zwar auf die Flächentarifverträge verweist, jedoch die dort vorgesehenen Bestimmungen – ggf. für eine festgelegte Zeit – modifiziert werden, da sich der Kunde in einer wirtschaftlich herausfordernden Situation befindet (Beispiel: Aussetzung von tariflichen Sonderzahlungen oder zeitlich verzögerte Weitergabe von tariflichen Entgelterhöhungen bei Abgabe einer Beschäftigungssicherung oder einer Standortgarantie). Der schlichte Wortlaut der Neuregelung in den Branchenzuschlagstarifverträgen könnte zunächst so verstanden werden, dass der Firmentarifvertrag uneingeschränkt zur Anwendung kommen muss („Bindung an ein regionales Tarifwerk der Metall- und Elektroindustrie durch Bezugnahme in einem Haustarifvertrag“). Dies ist aber weder von Sinn und Zweck der Bestimmung gedeckt (dazu s. oben), noch dürfte der Wortlaut der tariflichen Regelung eine derart enge Auslegung rechtfertigen, wird doch durch einen modifizierenden Haustarifvertrag regelmäßig – über ein Anerkenntnis – eine Bindung an den M+E-Flächentarifvertrag hergestellt, der dann nur modifiziert wird. Es besteht auch in diesen Fällen zunächst eine Bindung an ein regionales Tarifwerk der Metall- und Elektroindustrie, die hinreichend sein dürfte, um (...)



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