Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Gewährung
einer Inflationsausgleichsprämie – Alles gleich, oder doch
nicht?
Die
Inflationsausgleichsprämie (nachfolgend kurz: IAP) nach § 3 Nr.
11c EStG ermöglicht es Arbeitgebern, Arbeitnehmern im Zeitraum
vom 26.10.2022 bis zum 31.12.2024 zum Zweck der Abmilderung der
gestiegenen Verbraucherpreise bis zu 3.000,00 EUR als steuer- und
abgabenfreie Sonderleistung zusätzlich zum ohnehin geschuldeten
Arbeitslohn zu gewähren. Davon ist inzwischen reger Gebrauch
gemacht worden. Die Mehrheit der deutschen Unternehmen hat ihren
Arbeitnehmern bereits eine IAP bezahlt – so eine aktuelle Studie
des ifo Instituts. Das gaben zumindest 72% der befragten
Personalleiter an. Weitere 16% der Unternehmen planen, eine solche
demnächst auszuzahlen. Bei 27% erfolgte die Gewährung auf
Grundlage eines Tarifvertrages. Nur 12% der Befragten wollen den
Arbeitnehmern keine IAP zahlen (vgl. https://www.ifo.de/
pressemitteilung/2024-01-03/ mehrheit-der-unternehmen-zahlte-
inflationsausgleich).
In
der Praxis wird die IAP regelmäßig nicht mit der
„Gießkanne“ verteilt, sondern mit einer Auszahlungsmatrix
verknüpft, die bestimmte, vom Arbeitgeber festgelegte oder
tariflich vorgegebene Kriterien vorsieht, durch die Arbeitnehmer
oder Mitarbeitergruppen eine geringere Zahlung erhalten oder von
einer solchen in Gänze ausgeschlossen werden, wenn bestimmte
Voraussetzungen nicht erfüllt werden – so auch in der
Zeitarbeitsbranche, für die (anknüpfend an den Geltungsbereich
der Branchenzuschlagstarifverträge) inzwischen einige ergänzende
Tarifverträge über die Zahlung einer IAP geschlossen worden
sind, u.a. für die M+E- und die Chemische Industrie (s. dazu
ausführlich: Bissels, BD 1/2024, 3 ff.).
In
diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob derartige
Differenzierungen, insbesondere unter Berücksichtigung des
allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes oder
besonderer gesetzlicher Benachteiligungsverbote, zulässig sind
– so auch in der hier besprochenen Entscheidung des ArbG
Stuttgart mit Blick auf eine Unterscheidung zwischen unbefristet
und befristet beschäftigten Arbeitnehmern (Urt. v. 14.11.2023 –
3 Ca 2173/23).
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
Dem
Urteil lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde:
Der
Kläger, der einen Anspruch auf die Zahlung einer IAP i.H.v.
1.000,00 EUR geltend macht, war zunächst befristet bis zum
13.06.2022 bei der Beklagten in Teilzeit beschäftigt, wobei die
Befristung bis zum 30.06.2023 verlängert wurde.
Im
Dezember 2022 teilte die Beklagte mit, dass Mitarbeiter im Januar
2023 eine IAP i.H.v. 1.000,00 EUR erhalten sollen. Es gelten laut
den FAQ zur IAP u.a. folgende Voraussetzungen:
„Wer
erhält eine IAP im Januar 2023? […]
1.
Es besteht ein aktives Beschäftigungsverhältnis im Dezember
2022.
2.
Es besteht ein ungekündigtes Beschäftigungsverhältnis zum
Zeitpunkt der Gehaltsabrechnung im Januar 2023.
3.
Im Falle einer Befristung muss das Befristungsende am 31.12.2023
oder später liegen.“
Dem
Kläger wurde die IAP nicht ausgezahlt. Nach der
außergerichtlichen Geltendmachung wies die Beklagte den
Zahlungsanspruch mit der Begründung zurück, der Kläger erfülle
die Voraussetzungen für die IAP nicht (hier: Ziff. 3).
Der
Kläger erhob daraufhin Klage auf Zahlung einer IAP i.H.v.
1.000,00 EUR. Die unterschiedliche Behandlung der Mitarbeiter mit
einem befristeten Arbeitsverhältnis (mit Blick auf Ziff. 3 der
obigen Voraussetzungen) verstoße gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz.
Das
ArbG Stuttgart gab der Klage statt. Dem Kläger stehe ein Anspruch
auf die Zahlung einer IAP aus § 611a BGB i.V.m. § 4 Abs. 2 TzBfG
zu. Die Herausnahme von befristet beschäftigten Arbeitnehmern,
deren Befristungsdauer vor dem 31.12.2023 ende, von der Gewährung
der IAP verstoße gegen das Benachteiligungsverbot aus § 4 Abs. 2
TzBfG.
Zwar
sei der von der Beklagten gewählte Zweck, neben dem
Inflationsausgleich auch die Betriebstreue honorieren zu wollen,
nicht unbillig. Jedoch benachteiligten die konkreten
Voraussetzungen befristet beschäftigte Arbeitnehmer, da von ihnen
für den Erhalt der IAP im Vergleich zu unbefristet tätigen
Mitarbeitern eine längere Betriebstreue verlangt werde. Bei
Sonderzahlungen, die ausschließlich die Betriebstreue belohnten,
könnten befristet beschäftigte Arbeitnehmer, die am Stichtag
nicht mehr beschäftigt seien, von einem Anspruch ausgenommen
werden (vgl. ErfK/Preis, § 4 TzBfG Rn. 67). Allerdings dürfe
eine Sonderzahlung an einen befristet beschäftigten Arbeitnehmer
nicht von einer längeren Betriebstreue als jener eines
unbefristet beschäftigten Mitarbeiters abhängig gemacht werden,
da die Betriebstreue bei beiden Gruppen gleich zu bewerten sei
(vgl. Boecken/Joussen, § 4 TzBfG Rn. 75).
Die
Beklagte habe grundsätzlich einen billigenswerten Zweck verfolgt,
mit der Zahlung der IAP die zukünftige Betriebstreue zu belohnen.
Sie habe die Gewährung daran geknüpft, dass im Dezember 2022 ein
Arbeitsverhältnis bestehe, das im Auszahlungszeitpunkt noch nicht
gekündigt sei. Damit habe sie auf einen einheitlichen Stichtag
für befristet und unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer
abgestellt, zu dem bestimmte Voraussetzungen vorliegen müssten.
Die Beklagte setze für befristet beschäftigte Arbeitnehmer aber
zusätzlich voraus, dass deren Arbeitsverhältnis nicht vor dem
31.12.2023 ende. Im Ergebnis wende die Beklagte damit
unterschiedliche Stichtage für unbefristet und befristet
beschäftigte Arbeitnehmer an. Für beide Arbeitnehmergruppen
gölte der Auszahlungszeitpunkt (Januar 2023) als Stichtag, bei
dem das Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses
vorausgesetzt werde. Für die befristet beschäftigten
Arbeitnehmer sei darüber hinaus der weitere Stichtag am
31.12.2023 vorgesehen, zu dem das Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses verlangt werde.
Diese
Differenzierung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Sie nehme
befristet beschäftigte Arbeitnehmer von der Zahlung aus, wenn
ihre Befristung vor dem 31.12.2023 auslaufe. Der Bezugszeitraum
für die Betriebstreue sei folglich das Jahr 2023. Die Beklagte
bewerte dabei die Betriebstreue unbefristet Beschäftigter höher
als die der befristet tätigen Arbeitnehmer im Jahr 2023. Während
unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer die IAP selbst dann
erhielten, wenn sie im Zeitraum von Februar bis 30.12.2023
vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder
Aufhebungsvertrag ausschieden, werde befristet beschäftigten
Mitarbeitern die IAP nur dann gewährt, wenn ihre Befristung am
31.12.2023 oder später ende. Im Extremfall könne ein unbefristet
beschäftigter Arbeitnehmer am 01.02.2023 das Arbeitsverhältnis
fristlos beenden und hätte trotzdem Anspruch auf die IAP,
während ein bis 30.12.2023 befristet beschäftigter Arbeitnehmer
trotz einer deutlich längeren Betriebstreue von der Zahlung
ausgenommen bliebe.
Die
Differenzierung lasse sich auch nicht damit rechtfertigen, dass
bei unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern ein Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses bis zum 31.12.2023 anzunehmen sei (die
vorherige Kündigung durch den Arbeitnehmer sei nämlich
möglich), während bei befristet beschäftigten Arbeitnehmern
deren (baldiges) Ausscheiden bereits zum Stichtag im Januar 2023
feststehe (die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis
durch den Arbeitgeber sei nämlich möglich). Die Betriebstreue
der befristet beschäftigten Arbeitnehmer im für die Auszahlung
maßgeblichen Jahr 2023 werde insoweit unterschiedlich gewichtet,
als dass sie erst ab dem 31.12.2023 berücksichtigt werde.
Soweit
die Ungleichbehandlung nur durch Gewährung eines eigenständigen
Leistungsanspruchs beseitigt werden könne, führe ein Verstoß
gegen das Benachteiligungsverbot aus § 4 Abs. 2 TzBfG zur
uneingeschränkten Anwendung der vorenthaltenen, begünstigenden
Regelung (hier: Zahlung von 1.000,00 EUR) und habe unmittelbar
anspruchsbegründende Wirkung. Der Anspruch des Klägers sei nicht
auf den Zeitraum der befristeten Beschäftigung bis 30.06.2023
begrenzt. Die Beklagte gewähre unbefristet beschäftigten
Arbeitnehmern unabhängig davon, ob ihr Arbeitsverhältnis bis zum
31.12.2023 fortbestehe, die IAP (in voller Höhe). Die aus § 4
Abs. 2 S. 1 TzBfG folgende Gleichbehandlung erfordere es daher,
den befristet beschäftigten Arbeitnehmern, die im
Auszahlungszeitpunkt im Januar 2023 in einem ungekündigten
Arbeitsverhältnis stünden, die IAP im vollen Umfang zu
gewähren. Andernfalls wirke die Schlechterstellung gegenüber
unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern fort.
II.
Bewertung
Das
ArbG Stuttgart liegt mit seiner Bewertung, dass hiesig befristet
beschäftigte Arbeitnehmer unzulässig benachteiligt werden (mit
einer folgerichtigen „Anpassung nach oben“), richtig. Der
Arbeitgeber ist zwar grundsätzlich berechtigt, die Gewährung
einer IAP zulässigerweise – neben dem Sozialzweck – (auch)
mit der Betriebstreue zu verknüpfen (vgl. ArbG Hagen, Urt. v.
19.09.2023 – 4 Ca 604/23; Uffmann, NZA 2023, 72; Bissels/ Block/Wernecke,
AuA 12/2022, 14 ff.), jedoch dürfte dieser grundsätzlich nicht
berechtigt sein, die Anforderungen an die zu leistende
Betriebstreue bei befristet tätigen Mitarbeitern anders zu
bemessen als bei unbefristet angestellten Arbeitnehmern, indem
dieser den maßgeblichen Stichtag für die befristet
Beschäftigten de facto um ca. 11 Monate nach hinten (...)
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